Das Luder hinter der schönen Maske

Von der Lovestory zum Krimi: Fabian Eders filmischer Roman „Das Gesicht der Anderen“.

Das Gesicht der Anderen“ ist eines der spannendsten Bücher, die ich bis heute gelesen habe. Der Roman entwickelt sich von einem selten traurigen Liebesroman zu einer kunstvollen Kriminalgeschichte, die es wirklich kann, obwohl der Text an manchen Stellen überhitzt ist und gleichsam verreibt. Es wechseln sich höchst geglückte Beschreibungen mit Stilblüten ab: „Keine Falte trübte die Makellosigkeit ihrer Haut.“ Die Haut gehört einer jungen Frau, die bei einem Sommerfest „in einem Schloss am Stadtrand“ furchtbar entstellt wurde: Margarete Bolls. Ihr Vater Josef ist nämlich Waffenfabrikant und berühmt für die Pistole mit dem Markennamen Chamäleon, deren Eigenschaften stark an jene der österreichischen „metallfreien“ Polizeiwaffe erinnern.

Ein durch Zufall gelöster Schuss aus der Waffe ihres Vaters, der die neue Errungenschaft der Firma dem ausgesuchten und neugierigen Publikum vorführen will, ändert das Leben Margaretes gewissermaßen schuss- und nicht schlagartig. Nach diesem Unfall ist sie eine grässlich entstellte 17 Jahre alte Erscheinung, die ihr nicht mehr vorhandenes Gesicht hinter einer Maske verbirgt und in ihrem goldenen Käfig einsam und gefangen ist. Davor hatte sich „niemand ihrer Schönheit entziehen können“. Naturgemäß sehnt sie sich nach Liebe, was sie jedoch nicht davon abhält, in dieser männerdominierten Welt nach dem Selbstmord der Eltern sozusagen eine knallharte Unternehmerin zu werden.

Ein 36 Jahre älterer Schnulzensänger aus der Provinz – mit dem kennzeichnenden Namen Hein Schuberth nach Heino und Franz Schubert – befreit sie vier Jahre nach ihrem Unglück aus ihrer Isolation, wendet den Blick nicht von ihrer Fratze ab und führt sie in eine Welt ein, in der man nackt verkehrt. Das Ergebnis verrät erst der allerletzte Satz des Romans, der unter Anführungszeichen steht.

Hoher Sinn für Dramatik

Man merkt es dem Buch an, dass der 52-jährige Wiener Florian Eder nicht nur Schriftsteller, sondern auch Filmemacher und Drehbuchautor ist, der einen Roman von Barbara Frischmuth verfilmt und einen „Tatort“ gedreht hat. Sogar die Nomenklatur im juristischen und medizinischen Bereich ist fachgerecht. Der Roman ist alles in allem so überzeugend geschrieben, dass man das Gefühl hat, einendramatischen Bericht zu lesen. Dem Ganzen tut nur die stellenweise phrasenhafte Sprache kurz Abbruch.

Den einen Leser oder die andere Leserin wird womöglich stören, dass Fabian Eder vordergründig bemüht ist zu verschleiern, wo der Roman spielt. Die Koordinaten ergeben aber schlüssig, dass der Tatort ein österreichischer – genauer: ein niederösterreichischer – ist, mag für die Matura auch der Begriff Abitur gebraucht werden. Entbehrlich sind außerdem Umschreibungen wie „unscheinbarer japanischer Mittelklassewagen“ und ähnliche, weil sie sich für den Kontext nicht als notwendig erweisen und den Eindruck erwecken, angefragte Firmen hätten einen Obolus für die Produktplatzierung verweigert. Andererseits wird der Renner aus der Bollschen Waffenfabrik schlichtweg als VW Käfer unter den Pistolen bezeichnet.

Die besondere Kunst Fabian Eders ist es, dem Leser, der zweifellos staunen wird, zwischen den Zeilen, und nicht ausdrücklich, zu vermitteln, welches Luder Margarete Boll in Wirklichkeit – und in jeder Hinsicht – ist. ■

Fabian Eder

Das Gesicht der Anderen

Roman. 288 S., geb., €19,90
(Braumüller Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2015)

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