Der Wahnsinn, kirschenessend

Alles, nur nicht glatt gedichtet: Mayröckers Hölderlin-Zyklus.

Besuch mich nicht an meinem Grab es hilft mir nicht ich bin schon tot.“ Zwei Mal bin ich der Mayröcker begegnet. Das erste Mal in Bad Ischl, nicht lange nachdem Ernst Jandl, ihr geliebter Partner, gestorben war, der auch in dem Band „Scardanelli“ Spuren der Sehnsucht und Trauer hinterlassen hat: „Fröhlich waren wir eine stille Fröhlichkeit ach ahnungslos war ich.“ Und Jahre später im Wiener Café Tirolerhof. Beide Male hätte ich mir gewünscht, sie kennenzulernen; und beide Male war ich froh, sie nicht behelligt zu haben. So blieb das intime Sprachbild der mir fremden Dichterin unangetastet.

Mayröckers dunkle Haare und Stirnfransen, aus denen auf so vielen Fotos Mayröckers käferdunkle, seendunkle Augen hervorblicken: Dazu passen die „Blüthen“, die aus dem Hölderlindeutsch in ihren neuen Gedichtband eingeweht sind. Das Buch ist voller Blumen und Gewächse, „Fuchsien Weiden Pinien und Reseden lauschend im Garten (ich) Krokus und Haferkorn auch“. Ja, es ist bei der Mayröcker ein zauberisch umschlossenes „ich“, voller Andränge, Tränen, hymnischer Verkleinerungsformen, die immer nur eines wollen: die Welt reinen Herzens zu lieben, trotz allem „usw.“. Es ist kein Ich, das sich gegen die Welt setzt, obwohl es sich niemals ins Welteinverständige hinein- und das Leben glatt dichtet.

So wie Mayröckers Gräser hätten Walt Whitmans „Grass Leaves“ sein sollen, denke ich, „Scardanelli“ lesend. Denn nicht der Lebensjasager und Naturenthusiast öffnet uns zur wahren Poesie hin, sondern das reine Herz. Aber dieses ist, im dunklen Tal, zwischen den Widrigkeiten, Banalitäten und Schrecken des Alltags, in der Globusmaschine des alternden Gehirns, einzig als verstricktes vorfindbar. Es ist nie ganz. Blut sickert aus der Lunge. Der Wahnsinn lauert, „kirschenessend in tiefer Nacht“.

Glänzt mit Formuliermarotten

Ich habe diese Spannung, die Mayröckers Poesie durchzieht, lange Zeit nicht recht verstanden. Mir gingen die Ticks auf die Nerven, die orthografischen und grammatischen und alle anderen auch. Sie schreibt „1“ statt „einer/eine/eines“, aber nicht immer. Sie schreibt immer „sz“ statt „ß“. Sie demonstriert Eile oder Überdruss, indem sie an das Ende einer Zeile ein „usw.“ setzt. Beistriche findet der Leser bloß ausnahmsweise, noch ein Relikt aus der Zeit der alten Avantgarde.

So rackert sie sich ab, und zwischen ihrem höchsteigenen Gestrüpp aus Ticks und Formuliermarotten glänzt sie umso reicher, „voll der Gnaden“, sie liebt solche Bilder, wenn sie sehr, sehr kindlich klingen. Dabei schützt sie ihre Unschuld, indem sie sich verkompliziert, gegensinnig Worthäufchen aufschichtet: „haben 1 Quartett von Penderecki gehört (,flow my tears‘ John Dowland wenn aus den Schnäbeln und Wolken hellere Welle sich herabgegossen, Höld., auf der Fuszmatte vor der Wohnungstür 1 gelbe vergessene Blume.“ Wo ist die zweite Klammer geblieben? Und Hölderlin im Wahnsinn, der mit „Scardanelli“ unterzeichnete – er wird wie Massenware abgekürzt; und doch ist er der Same, aus dem das Ganze, der Zyklus der 52 Gedichte, emporwächst.

Nein, ich werde die Mayröcker nicht besuchen. Ich werde ihr als Leser begegnen, ab und zu in einem wundersamen Zeilendickicht, in dem sie sich unsterblich verheddert und blüht. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.