Ist denn Israel wirklich an allem schuld?

Über Emotionen, Halbwahrheiten,Falschmeldungen: eine Streitschrift zu der Frage, warum der Judenstaat so gehasst wird.

Die Frage wird oft gestellt: Ist Israel am Nahostdilemma schuld. Und viele wissen die Antwort. Oder glauben sie zu wissen. Der Judenstaat, also Israel, ist von den Vereinten Nationen oft gerügt und gelegentlich auch verurteilt worden. Und das leidige Problem ist, nicht wahr, dass die Grenze zwischen der Kritik an diesem Judenstaat und dem Antisemitismus nur schwer zu ziehen ist.

Georg M. Hafner und Esther Schapira versuchen, aufklärerisch zu wirken. Beide sind Medienarbeiter: Hafner bei der ARD, Schapira beim Hessischen Rundfunk. Sind sie, wenn es um Israel geht, befangen? „Ja“, gibt Kollegin Schapira unumwunden zu. Sie zögere nicht, jene Kette mit dem Davidstern zu tragen, die sie von ihrem Vater bekommen hat. Sie fühlt, dass die Deutschen nicht begreifen, „dass Antisemitismus, auch wenn er sich als Israelkritik ,tarnt‘, die demokratische Substanz des Staates und damit am Ende auch sie selbst gefährdet“.

Das Buch sei „eine Streitschrift und keine wissenschaftliche Abhandlung“, weil auf der einen Seite Fakten, Zahlen und Analysengeschildert werden, auf der anderen Seite aber Gefühle, „Zwischentöne, die nur hört, wer hören kann und will“. Und laut Hafner und Schapira sind die Hörer eine Minderheit. Bestenfalls wird die Schuld, sofern vorhanden, beiden Seiten aufgebürdet, den Israelis und den Palästinensern: Zwar schieße die Hamas mit Raketen, aber sie seien „ein leichtes Opfer für die israelische Abwehr, die 90 Prozent von ihnen vom Himmel holt“. Es ist dieses vermeintliche Gleichgewicht, das die beiden Autoren erregt. Denn die Medien seien nicht an allem, aber an vielem schuld. Dass in einer Überprüfung von Schlagzeilen deutscher Zeitungen Israel 92 Mal als „kriegerisch Handelnder“ dargestellt wird, die Hamas aber nur in 42 Beispielen, sei symptomatisch. Freilich erreiche der Beschuss von Israels Siedlungen durch Hamas-Raketen selten die News-Schwelle. In der Tat: Der Judenstaat wird so gehasst, weil fahrlässig Halbwahrheiten verbreitet werden „und manchmal sogar Falschmeldungen, die interessante Rückschlüsse auf die verantwortlichen Redakteure zulassen“. Aber Journalisten, so spötteln die Autoren, „sind im Dienste der Aufklärung unterwegs und als vierte Gewalt stets auf der Seite der Schwachen. Und deshalb sind sie zwangsläufig auf der Seite des palästinensischen David und nicht des israelischen Goliath. Antisemiten sind immer die anderen.“ Etwa viele Intellektuelle, wie Günter Grass, der Israel die größte Bedrohung für den Weltfrieden nannte. Damit, schreiben Hafner und Schapira, „weiß er die Mehrheit der Deutschen hinter sich und redet den Menschen nach dem Maul“.

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon vertrete einerseits die Meinung, dass Unmut über israelische Handlungen nie als Entschuldigung herangezogen werden dürfe, um Juden anzugreifen, aber andererseits nicht jede Israelkritik als Antisemitismus zurückgewiesen werden dürfe. Das Resümee von Hafner und Schapira: Ein Aufruf gegen Antisemitismus ist nur dann mehrheitsfähig, wenn eines der Hauptanliegen der Vereinten Nationen dabei nicht torpediert wird: die Verurteilung Israels.

Es ist wirklich eine Streitschrift, die Georg M. Hafner und Esther Schapira vorgelegt haben. Antizionismus sei gleich Antisemitismus, und dieser wieder lasse sich von Israelkritik kaum trennen. Jüngste Demonstrationen geben dieser These recht: „Wenn ,Heimat‘ und ,Patriotismus‘ die neuen Schlagwörter sind, müssen die, die nicht dazugehören, höllisch aufpassen“, sagen dieAutoren.

Es ist zu fürchten, dass sie das Kind mit dem Bade ausschütten, auch wenn die jüngsten antijüdischen Attentate das Unbehagen wachsen lassen. Die Antwort auf die Frage, warum der Judenstaat so gehasst werde, gibt Anlass zu vielen neuen Fragen. Eine der drängendsten ist, warum in der Politik, auch in der Weltpolitik, Vernunft und Wahrheit so oft von der Emotion verdrängt werden. Hafner und Schapira haben versucht, dies zurechtzurücken. Vielleicht mit nicht immer tauglichen Mitteln? Sei's drum!

Georg M. Hafner, Esther Schapira

Israel ist an allem schuld

Warum der Judenstaat so gehasst wird. 320 S., geb., € 20,60 (Eichborn Verlag, Köln)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2015)

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