Die Freiheit von und zu

Freiheit als das Grundproblem der Moderne: Otfried Höffes kritische Theorie unter der Leitformel eines aufgeklärten Liberalismus – zugleich eine Anleitung zur Lebenskunst.

Um es vorwegzunehmen, dieses Buch ist wichtig, gerade zu einer Zeit, in der das Wort von Albert Camus, die Freiheit sei unser aller Witwe, eine neue Bedeutung erlangt hat. Wir spüren es wohl alle: Die Freiheit als eine Art Wesensbestimmung, als ein Konstitutiv unseres Menschseins und zugleich als eine historisch-politisch lang umkämpfte Errungenschaft ist immer mehr in Gefahr. Regulative, Fremdbestimmungen, Diktate (auch sich demokratisch nennender Systeme) unterhöhlen nicht nur die Freiheit des Einzelnen, sondern auch die der Institutionen. Überwachungssysteme, Eingriffe in die sogenannten bürgerlichen Freiheiten, vom Rauchverbot bis zu Lebensmittelvorschriften, Offenlegung von Bankkonten, Eingriffe in die Daten der E-Mails, der Telefone, Speicherungen von Bank- und Kreditkarten, die drohende Abschaffung des Bargelds, Überwachungskameras allerorts haben die Visionen Orwells weit übertroffen. Der gläserne Mensch steht nicht bloß als Drohung vor der Tür, er ist bereits Realität.

Auch die politische Freiheit steht vor einem Desaster: Die Degradierung des in einemdemokratischen System lebenden Bürgers zu einem Stimmzettelabgeber, der dann hilflos zusehen muss, wie man – ich beziehe mich auf Österreich – eine mehr als klägliche Bildungs-, Migrations-, Steuer- und Wirtschaftspolitik betreibt, der nur mehr da ist, um finanziell die Zeche für die vielen Verfehlungen und Vergehen der Politik zu bezahlen, lässt einen zweifeln, ob es hier noch einen Ort für die schöne Freiheit gibt.

Dabei fing alles so vielversprechend an: Freiheit, Selbstbestimmung, Autonomie, die Grundforderungen der Aufklärung und damit des Projekts „Moderne“ standen am Beginn eines Emanzipationsprozesses, der in Zusammenhang mit der Entwicklung der Menschenrechte ein Leben versprach, in dem der Einzelne und auch die Gemeinschaft sich in Freiheit entfalten könnten, ohneEingriffe und Beschränkungen politischer, gesellschaftlicher oder sonstiger Autoritäten. Und dies wurde nicht unblutig und nicht ohne Opfer erkämpft.

Otfried Höffe hat sich in „Kritik der Freiheit“ viel vorgenommen, wenn er diese Ambivalenz kritisch auf den Prüfstand zu stellen versucht. Seine Ambition ist aber noch viel weiter gespannt: Er will sowohl einen Beitrag zu einer philosophischen Anthropologie als auch eine kritische Theorie der Freiheit und der Moderne entfalten, und dies unter der Leitformel eines aufgeklärten Liberalismus.

Damit hat er eine milde, mittlere, teilweise auch ein wenig kritische Perspektive gewählt, die in vielem der Grundposition Immanuel Kants, wenn auch auf heutige Verhältnisse adaptiert, nahekommt. Dass Freiheit ein irritierender Begriff ist, der viele Ambivalenzen, Vieldeutigkeiten, Schwierigkeiten aufweist, ist unbestritten. Höffe versucht dies auch in mehreren, wenn nicht in zu vielen Dimensionen aufzuweisen. Von der Befreiung von Naturzwängen über die Freiheit in Wirtschaft und Gesellschaft, in Wissenschaft und Kunst, über Politik und personale Freiheit reicht sein Spektrum, wobei sich wie ein roter Faden die von ihm eingenommene, aufgeklärte liberale Position durchzieht.

Dies verhindert zwar ein Bejahen extremer Positionen (wie etwa eines totalen Wirtschaftsliberalismus oder eines überbordenden Sozialstaats), lässt aber seine Kritik zum Teil viel zu milde ausfallen. So wird man sein Plädoyer für eine Ökosoziale Marktwirtschaft durchaus vernünftig finden; dass diese inzwischen durch einen maßlosen Kapitalismus in ihrer Realisierung mehr als gefährdet ist, bleibt offen. Klarerweise ist die Ambivalenz des Sozialstaats ein für unsere Demokratien nach wie vor ungelöstes Problem, aber dass die mehr als verbrecherischen Aktionen der Finanzmärkte etwa durch Selbstbeschränkung ethisch eingebremst werden könnten, scheint doch illusionär. Hier hätten die von Höffe eher kritisierten Einsprüche von Habermas, dass der Kapitalismus und der mit ihm verbundene Homo oeconomicus in einer Art von Kolonialisierung unsere gesamte Lebenswelt beherrscht, oder von Piketty, dass die Bezieher von Arbeitseinkommen immer mehr zu Verlierern werden, verdient, ernster genommen zu werden.

Ähnlich schonend geht Höffes aufgeklärter Liberalismus mit den Freiheitsrechten in Bezug auf die „digitale Revolution“ um. Die Gefährdung der Freiheit durch elektronische Überwachung, die freiwillige Abgabe persönlicher Freiheit an Twitter, Facebook und dergleichen wird zwar in ihrem Für und Wider ausführlich diskutiert, aber seine These, dass aus dem Homo sapiens kein Homo digitalis werden kann, lässt sich wohl kaum aufrechterhalten, denn dort sind wir bereits.

Für einen aufgeklärten Liberalismus ist natürlich das Konzept einer offenen Moral und offenen Gesellschaft (Bergson, Popper, Hayek) wesentlich, zumal dies den von Höffe hochgehaltenen Prinzipien des Pluralismus und der Toleranz entspricht. Dabei stellt sich die Grundfrage, inwieweit ein Wertepluralismus Gefahr läuft, in Relativismus umzukippen, und sowohl gesellschaftlich als auch politisch in einen Konsens münden kann.

Eine deutliche Grenzziehung nimmt Höffe beim Begriff der Toleranz vor, die nicht bloße Duldung oder Aufgabe der eigenen Überzeugungen sein kann, sondern sich für kreative Kompromisse offenhält, wobei Höffebei strittigen Fragen (Kopftuch, Zwangsheiraten) eine Güterabwägung empfiehlt.

Dass der Philosoph Höffe der personalen Freiheit besondere Aufmerksamkeit zuwendet, ist klar. Die Bekräftigung der Freiheit angesichts der Thesen der Hirnforscher, sie sei ohnedies eine Illusion, wird mit starken Argumenten unterstützt, in denen es um Determinismus, innere und äußere Zwänge, Ursachen und Gründe unseres Handelns geht. Sein Plädoyer für eine personale Freiheit, seine Auseinandersetzung mit Willens- und Handlungsfreiheit endet dann auch in einer Aporie: Wenn wir freie Wesen sind, die sich entscheiden müssen – man erinnere sichan Jean-Paul Sartres Diktum „Wir sind zur Freiheit verurteilt“ –, dann stellt uns gerade diese natürlich mit Verantwortung verbundene Freiheit vor ein großes Dilemma.

Denn reale Freiheit ist nicht bloß die bewusste, abgewogene Entscheidung für dies oder jenes, sondern wie Höffe vermerkt, vielleicht auch die Befreiung, eine Wahl treffen zu müssen, oder wie es der US-Autor Jonathan Franzen darstellt: Freiheit kann auch ein Fluch sein, denn nach vielen Entscheidungen ist man unglücklicher als je zuvor. Dass Höffe hier für eine moralische Freiheit plädiert, die Selbstbindung miteinschließt, überrascht nicht. Denn nach Kant, dem Höffehier offen folgt, macht man sich in Freiheit zu einem moralischen Wesen, dessen Freiheit an der Freiheit des anderen seine Grenze findet. Dies ist schließlich die Botschaft des „aufgeklärten Liberalismus“ und zugleich eine Anleitung zur Lebenskunst. ■

Otfried Höffe

Kritik der Freiheit

Das Grundproblem der Moderne.
398 S., geb., €30,80 (C. H. Beck Verlag, München)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2015)

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