Partisanen des Lebens

„Die Unamerikanischen“: Für Molly Antopol sind das nicht nur verfolgte Linke in den USA, sondern auch Opfer des Stalinismus in der ČSSR oder Überlebende des Holocaust in Israel. Illusionslose Zwischenexistenzen eben. Ein Debüt, in dem Erzähltalent und Welthaltigkeit verschmelzen.

Auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs machte der Ausschuss für „Unamerikanische Umtriebe“ in den USA Jagd auf Kommunisten und alle, die er für solche hielt. Besonders in der Filmindustrie wurden auf diese Weise hunderte Sympathisanten oder Mitglieder der Kommunistischen Partei – ihr gehörten 1938 immerhin 38.000 Mitglieder an – ins Gefängnis gesteckt, Tausende verloren ihre berufliche Existenz.

Die Erzählungen Molly Antopols handeln von den „unamerikanischen Opfern“ dieses Ausschusses; aber die Autorin, die an der Stanford University im Herzen des Silicon Valley unterrichtet, ein Drittel des Jahres aber in Israel verbringt, erweitert den Begriff des „Unamerikanischen“ und teilt ihr politisch-literarisches Interesse zwischen den verfolgten Linken in den USA, den Opfern des Stalinismus in der ČSSR und der Sowjetukraine und den Überlebenden des Holocaust in Israel sowie deren Kindern auf. Ihre Helden sind keine Amerikaner im klassischen Sinn, sondern teils gebrochene, teils bitter enttäuschte Europäer oder Isrealis. Die üblichen amerikanischen Werte sind für diese Menschen so weit entfernt wie der Mars, was den „Unamerikanischen“ bleibt, sind illusionslose Zwischenexistenzen, für die es keine Leitbilder gibt. Die besten von Molly Antopols Geschichten könnten auch als Gerüst eines Romans dienen, so bestechend sind stoffliche Fülle und Detailreichtum im Stil eines Richard Ford, aber auch wunderbar überraschende und lakonische Schlüsse, die sie in die beste Tradition amerikanischer Prosa stellen.

Moschaws sind genossenschaftliche Siedlungen, deren Güter sich sowohl in Kollektiv- als auch in Privateigentum befinden. Der Moschaw ist die häufigste Siedlungsform israelischer Dörfer, in den Moschawim leben rund fünf Prozent der israelischen Bevölkerung. Sie werden von jenen bevorzugt, die sich vom streng kollektiven Charakter des Kibbuz zu sehr eingeengt fühlen, unter ihnen befinden sich auch viele Holocaust-Überlebende. In den Dörfern führt jede Familie ihren eigenen Haushalt und bewirtschaftet eine Parzelle Boden mit bis zu vier Hektar auf eigene Rechnung. Grund und Boden gehört in der Regel dem Staat, die Pacht läuft meistens 49 Jahre. Häufig sind die Maschinen gemeinsames Eigentum, auch der Verkauf der Produkte wird oft gemeinschaftlich erledigt. Die Entscheidung, was angebaut wird, liegt beim Einzelnen.

In der Erzählung „Unbedeutende Heldentaten“ lebt Oren, ein junger Soldat, mit dem älteren Bruder, Asaaf, und beider Mutter in einem Moschaw an der syrischen Grenze beim See Genezareth. Der Vater, 1946 aus einer litauischen Flüchtlingsfamilie nach Israel gekommen, starb in den Neunzigerjahren durch eine Mine, auch Nachbarsfamilien beklagen Kriegs- und Terroropfer. Asaaf strotzt vor Kraft und Tatendrang, mehrfach hat er sich für Spezialaufgaben in der Armee empfohlen, er ist der Liebling des Dorfs, seine Verlobte Yael zählt zu den begehrten jungen Frauen.

Der jüngere Bruder, Oren, hingegen – er erzählt diese Geschichte – wird es über den Job eines Armeefahrers nicht hinausbringen. Unglücklicherweise ist er auch noch in das Mädchen seines Bruders verliebt. Eines Tages verunglückt der Sonnyboy mit dem Traktor auf den Paradeiserfeldern. Ein Bein wird zerquetscht, er droht zu verbluten. Nun schlägt Orens große Stunde: In einer halsbrecherischen Fahrt vorbei an verstopften Highways und Kontrollpunkten rast er über Nebenstraßen und Feldwege ins Spital. Der Husarenritt ist von Erfolg gekrönt, Asaaf überlebt. Das Bein allerdings muss amputiert werden. Orens Heldentat verblasst vor dem Unglück seines Bruders. Wieder zu Hause, weigert sich der behinderte Krieger, das Bett zu verlassen und in Erwartung einer Prothesemit den Krücken zu trainieren. Er verschanzt sich in seinem Zimmer und ergibt sich dem Fernsehen. Auch die Liebe seiner Verlobten weist er brüsk ab, worauf auch ihre Gefühle erkalten. Oren nutzt die Gunst der Stunde, nun ist er der Chef im Haus, er wird anstelle seines verhinderten Bruders mit Yael eine USA-Reise antreten. Um den Triumph vollständig zu machen, schleudert er seinem Bruder die Nachricht ins Gesicht.

In der Erzählung „Ein großer Schweiger“ erleben wir einen Prager Emigranten, einst angesehener Autor in Samisdat-Kreisen und Verfolgter der Husák'schen Geheimpolizei, dem es ein paar Jahre vor dem Ende der KP-Herrschaft gelingt, in die USA zu emigrieren. Er wird mit Vortragsreisen und Gastprofessuren für Geschichte an drittklassigen Colleges versorgt und muss erleben, dass den Exiltschechen nur eine kurze Zeit der Aufmerksamkeit zuteilwird.

Bald treten Flüchtlinge der jugoslawischenZerfallskriege an ihre Stelle, die wiederum bald von afghanischen und tschetschenischenKämpfern abgelöst werden, die gegen die Russen kämpfen. Seine Frau Katka, die einst im Widerstand gegen die KP noch hartnäckiger als ihr Mann agiert hat, schafft es nicht, eine akademische Stelle zu ergattern. Sie verdingt sich als Putzfrau, gründet aber eine Firma in derselben Branche, wodurch sie es zu bescheidenem Wohlstand bringt. Längst ist die Ehe der beiden an den unterschiedlichen Karrieren zerbrochen, sie leben in verschiedenen Bundesstaaten und haben keinen Kontakt. Als es der 24-jährigen Tochter gelingt, ein Theaterstück an einem renommierten New Yorker Off-Theater unterzubringen, leben die ausgebrannten Konflikte wieder auf. Das Stück ist eine einzige Liebeserklärung an den heroischen Vater, der sich während der Prager Verhöre den Nimbus eines „großen Schweigers“ erworben hat. Die Mutter, die schon damals und erst recht in den USA die Hauptlast der familiären Existenz getragen hat, kommt im Stück nicht vor.

In Molly Antopols Debüt verschmelzen Welthaltigkeit und souveränes Erzähltalent. Es wäre ein Leichtes, weitere Vorzüge des Bandes zu benennen. Der wichtigste Grund, dieses Buch zu lesen, aber heißt „Meine Großmutter erzählte mir diese Geschichte“, ein Bericht, der von jüdischen Partisanen in Ostpolen handelt. Mit Lichtenberg zu sprechen: Wer zwei Paar Hosen hat, mache eines zu Geld und schaffe sich dieses Buch an. ■

Molly Antopol

Die Unamerikanischen

Erzählungen. Aus dem Amerikanischen von Patricia Klobusiczky. 320 S., geb., €20,50 (Hanser Berlin Verlag, Berlin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2015)

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