Der Tod ist wie ein Märzregen

Die Gedichte des Polen Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki sind in seiner Heimat Kult.

Was weiß man im Westen schon über polnische Lyrikerinnen und Lyriker? Eigentlich nur so viel: dass sie unaussprechliche Namen haben und zum Beispiel Wisława Szymborska oder Czesław Miłosz heißen. Vielleicht kenntman sogar noch ein Gedicht oder weiß, dass die beiden Erwähnten Literatur-Nobelpreise für Polen eingeheimst haben. Aber das dürfte dann auch schon alles sein. Dabei liegt den Polen Lyrik genauso im Blut wie den Italienern die Oper oder den Franzosen das Kochen. Die polnische Sprache ist so biegsam und flexibel, dass man einfach darin dichten muss, ob man will oder nicht.

Nun hat die polnische Sprache einen neuen Kandidaten für den Nobelpreis hervorgebracht. Dieser ist seinen beiden großen Kollegen in vieler Hinsicht ebenbürtig. In einem jedoch schlägt er sie – sogar um Längen: in der Unaussprechlichkeit seines Namens.

Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki heißt derneue polnische Zungenbrecher, und er kommt aus einem fast ebenso schwer aussprechbaren Dorf, das an der Grenze zur Ukraine liegt und Wólka Krowicka heißt. Man wäre gut beraten, sogleich mit Sprachübungen anzufangen, um diesen Namen flüssig aussprechen zu lernen. Noch klüger wäre es, in den gerade auf Deutsch erschienenen Gedichtband hineinzuschauen.

Die Edition Korrespondenzen hat darin Gedichte aus früheren Jahren des heute 52-Jährigen versammelt, der inzwischen in seiner Heimat Kultstatus genießt und mit vielen Preisen ausgezeichnet wurde, wie zum Beispiel dem Nike-Preis, einem polnischen Pendant zum Deutschen Buchpreis. Liebevoll von sich selbst und Freunden auch Dycio genannt, schreibt Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki gern und oft vom Tod und dessen Auswirkungen „auf lebendiges Gewebe“, womit niemand anderer als er selbst gemeint ist.

Mit Samthandschuhen angefasst

In einer Zeit, in der der Tod schwer inflationär ist, behandelt Eugenisz Tkaczyszyn-Dycki ihn mit Samthandschuhen, ganz so, als würde er die Warnung des großen Bohumil Hrabal nur zu gut kennen: „Die jungen Dichter schreiben über den Tod und die alten Knacker über junge Mädchen“, sagte der tschechische Dichter einmal; und der heute in Warschau lebende Tkaczyszyn-Dycki bewegt sich zwischen den beiden Extremen mit der Geschicklichkeit und Empathie eines Mannes, der zu beiden Themen Bezug hat.

In dem Gedichtband „Tumor Linguae“ ist daher die Rede von der „verrückt gewordenen Mutter“ von „zwei Monden, die glatt und zu beneiden sind“, und anderen exotischen Bestandteilen eines gekonnt klein gehaltenen Universums. Man liest es und wird zugleich gelesen. Jedes Gedicht öffnet sich, um sich dann rechtzeitig zu schließen. Der Existenz wird Genüge getan, und zugleichbleibt der Leser mit einer „Handvoll Sehnsucht“ zurück.

Und irgendwann – gegen Ende des Buches – wird klar, dass nur eine einzige Sorte von Dichtern über den Tod und die letzten Dinge schreiben darf. Jene, die überaus lebendig sind. Dann die können, wie Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki, die Dinge so auf den Punkt bringen: „ich sage der tod ist wie ein märzregen / der über zwei studenten in den bergen zu viel / weiß und sie trotzdem zu sich nahm / mal mädchen und mal jungen mimend.“ ■

Eugenisz Tkaczyszyn-Dycki

Tumor linguae

Gedichte. Aus dem Polnischen von Michael Zgodzay und Uljana Wolf. Zweisprachige Ausgabe. 224S., geb., €22 (Edition Korrespondenzen, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2015)

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