Wider den missbrauchten Halbmond

„Zwischen Koran und Kafka“: Navid Kermanis Erkundungen zwischen den Kulturen von Ost und West. Vermittelnd, mahnend, kritisch und aufklärerisch.

Navid Kermani

Zwischen Koran und Kafka

West-östliche Erkundungen. 366 S.,
geb., €25,70 (C.H. Beck Verlag, München)

Aufklärung ist der Baustoff unserer Zivilisation. Das wollen die Heerscharen von Gegenaufklärern, Obskurantisten, islamistischen Gottesstaatterroristen nicht dulden. Statt eine Politik, die auf demokratischer Willensbildung und liberalem Ausgleich der Gegensätze gründet, streben sie eine Heilsgeschichte an. Und bringen Unheil: Morde, Terror, Völkerfluchten. Gegner sind Feinde, Politik ist Kampf. Dieser Maxime von Hitlers katholischem „Kronjuristen“, Carl Schmitt, folgen auch die Extremisten unter einem missbrauchten Halbmond. Mittlerweile dauert der Glaubenskrieg im Nahen Osten schon lang an und stärkt mit seiner zunehmenden Schreckensherrschaft nur die Ratlosigkeit, wie ihm Einhalt geboten werden kann.

Was hier am wenigsten hilft, sind Schönreden und Beschwichtigungen. Nicht zuletzt, weil er dieser Verführung in seinem vielseitigen essayistischen Schreiben nie nachgegeben hat, kann man den persönlichen und publizistischen Einsatz von Navid Kermani nicht hoch genug würdigen. Der habilitierte Orientalist und ausgewiesene Koran-Exeget Kermani ist eine wesentliche Stimme der innerislamischen Kritik aus europäischer Erfahrung. Bei der Frankfurter Buchmesse wird der 1967 in Siegen geborene Sohn iranischer Eltern mit dem Friedenspreis ausgezeichnet.

Leidenschaftlich räumt der Muslim Kermani mit der im Westen verbreiteten Verharmlosung des religiösen Hintergrunds auf, der den islamistischen Fundamentalismus prägt. Wer meint, die Kreuzzüge und Ketzerverbrennungen hätten nichts mit dem Christentum zu tun, der mag auch der Illusion anhängen, die Gräueltaten der IS-Milizen seien dem Islam gänzlich fern. Religionen sind geschichtliche Phänomene und daher für ihre Wirkungsgeschichte in die Pflicht zu nehmen. Dafür plädiert Kermani.

Umso heftiger beklagt er die Vernichtungvon Tradition und Herkunftswissen, die radikale Islamisten betreiben. Aktuell findet er für die Verantwortungslosigkeit der westlichen Nahostpolitik klare Worte: „Am verheerendsten, moralisch wie strategisch, ist das Bündnis, das der Westen und damit auch Europa mit dem Hauptsponsor des militanten Islamismus eingegangen ist, mit Saudiarabien. Immerhin verteilt der ,Islamische Staat‘ in allen Städten, die er erobert, vom ersten Tag an Schriften des saudischen Vordenkers Abdelwahhab. Fragt man, warum das Bündnis mit einem radikalfundamentalistischen und diktatorischen Staat der Hauptpfeiler der westlichen Nahostpolitik ist, muss man nur auf den gesunkenen Ölpreis schauen. Undankbar sind die Saudis immerhin nicht.“ In der Rede zum 50.Jahrestag der Wiedereröffnung des Burgtheaters machte Kermani unmissverständlich darauf aufmerksam, dass Arabiens und „Afrikas Probleme in zunehmendem Maße Europas Probleme sein werden. Europa wird sie sich auch durch noch so gut gesicherte Grenzen nicht vom Leibe halten können.“

Das wohlfeile Wort aus Politikermund, kein Mensch hätte das Ausmaß des nun heranstürmenden Flüchtlingstrecks vorhersehen können, straft er somit nachlesbar Lügen. „Zwischen Koran und Kafka “ heißt der Sammelband mit Kermanis „west-östlichen Erkundungen“, der auch diese frühe Warnung enthält. Weit gespannt ist darin sein Gedankenbogen, der vom mächtigen Einfluss des Orients auf die literarische Entwicklung Dantes und der italienischen Renaissance über die politische Bedeutung des Theaters von Shakespeare bis zu Hannah Arendts kritischer Einstellung zu Revolution und Tugendterror reicht.

„Noch in den eigentlich ethisch-moralischen, also der Religion ureigenen Fragen habe ich von den ,Minima Moralia‘ mehr gelernt als von Mohammed“, bekennt der Aufklärer Kermani und beweist dies in grundlegenden Aufsätzen zu Heine, Kleist, Wagner, Kafka, Hesse, Stefan Zweig. Und natürlich auch zu Goethes „West-östlichem Divan“. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2015)

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