Palatschinken bei Mama

Radek Knapps „Gipfeldieb“: als die Welt für Migranten noch in Ordnung war.

Kein Emigrant will verstehen, dass seine Heimat ein für alle Mal verloren ist.“ Er ist einer, der es wissen muss: der Ich-Erzähler Ludwik in Radek Knapps neuem Roman „Der Gipfeldieb“. Von der Mutter als Zwölfjähriger nach Wien geholt, nachdem er zuvor bei den polnischen Großeltern geparkt worden war, wird er ihr zeitlebens deswegen grollen.

Was sich unter anderem darin zeigt, dass er seine Mutter in der dritten Person anspricht, sie ihn hingegen duzt. Die Dialogszenen zwischen Mutter und Sohn erhalten dadurch einen schrägen Drive, der ein wenig an Oscar mit der Blechtrommel erinnert. Vom ersten Satz an ist klar, das natürliche Autoritätsverhältnis zwischen den beiden hat einen gewaltigen Knacks. Der Verlust des geliebten Großvaters, der in Ludwik vor allem durch seine philosophisch-lakonische Einstellung zur Welt präsent ist, ist wohl das erste große Trauma des Kindes.

Der erwachsene Ludwik verdingt sich als Heizungsableser in Wien, ein Job, der wie geschaffen für ihn ist, er fährt mit dem Rad, geht viele Stufen hinauf, erhält Einblick in fremde Leben, quasi eine Schulung und Abhärtung in Sachen Mensch. Nicht einmal ein Esel mit tücherumwickelten Hufen auf einem Parkettboden kann ihn erschüttern.

Und auch nicht die Verkupplungsversuche seiner Mutter mit polnischen jungen Frauen. Brav geht er zu den von ihr vereinbarten Dates, ohne jemals „anzubeißen“. Dafür liebt er ihre Palatschinken, die sie immerhin so gut zubereiten kann wie die Großmutter. Ansonsten sitzt er beim Heurigen mit Blick auf die Weinberge und lässt sich vom Kellner mit „Herr Doktor“ ansprechen. Die „berühmte Pro-und-Contra-Liste“ hat eindeutig Schlagseite zur „Spießigkeit, Anpassung und noch etwas, worüber ich lieber nicht nachdachte“.

Lehrstück subversiver Satire

Aus diesem beschaulichen Dasein reißt ihn – wie könnte es anders sein – eine Nachricht seiner Mutter: Endlich werde er die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen. Er ist verblüfft, hat er doch gar nicht darum angesucht.

Die folgende Episode im Rathaus mit der amtlichen Verleihung dieses heiß begehrten Dokuments, die an eine standesamtliche Trauungszeremonie erinnert, ist ein Paradestück humoristischer Literatur in bester k. u. k. Tradition, von Herzmanovsky-Orlando bis zum braven Soldaten Schwejk, und gipfelt in dem beruhigend-beunruhigenden Satz: „Von nun an wird sich der österreichische Staat um Sie kümmern.“ Besser hätte es auch der Kaiser nicht ausdrücken können. Und natürlich braucht der Kaiser Soldaten, sprich, die Einberufung flattert ins Haus, gerade noch rechtzeitig vor Ludwiks 35. Geburtstag.

Anders als Schwejk gelingt es Ludwik, die Kommission dazu zu bringen, ihn für den Zivildienst zuzulassen – auch das ein Lehrstück subversiver Satire auf einen hoch komplexen bürokratischen Militärapparat. Ludwik darf drei Monate lang als Helfer in einem Altersheim arbeiten, das in einer idyllischen Gegend des 19. Bezirks liegt. Und dort, endlich, wird er sich in eine Krankenschwester verlieben.

Die zu Beginn monierte Spießigkeit verwandelt sich in wahres Glück, und dass dieses nicht in den Kitsch kippt, beweist die große Erzählkunst von Radek Knapp. Die Leichtigkeit und subtile Hintergründigkeit, mit der Knapp das Leben dieses Konsum- und Karriereverweigerers skizziert, macht ihm so schnell keiner nach. ■

Radek Knapp

Der Gipfeldieb

Roman. 208 S., geb., € 20,60 (Piper Verlag, München)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2015)

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