Faschist mit Herz aus Gold

„Expedition Europa“: wenn der Sohn ermordet wird – ein Besuch in Athen.

Wenn du zu einem Vater gehst, dem Unbekannte den Sohn erschossen haben, dann fällt das nicht leicht. Wenn du dir dabei aber denkst, war vielleicht nicht schade um den Buben, der war bei einem faschistischen Sturmtrupp – dann wird das ein richtig schwerer Gang. Ich verabrede mich mit Lampros Fountoulis, 54. Vor zwei Jahren wurde der linke griechische Rapper Pavlos Fyssas von einem bekennenden Anhänger der Goldenen Morgenröte erstochen. Am Allerheiligentag 2013 folgte die Vergeltung. Fountoulis' Sohn Giorgos, 27, und ein weiterer Aktivist wurden erschossen. Ein dritter wurde verletzt, der vierte konnte flüchten. 2014 wurde Lampros Fountoulis für die Goldene Morgenröte ins Europaparlament gewählt.

Er bestellt mich in Athens Norden. Ich stehe zu früh vor dem schäbigen Büroblock, schon erwartet mich ein junger Bärtiger im Lift. Tiefe Augenhöhlen, hager, stumm. Wir betreten die Bürogemeinschaft, die auch die anderen EU-Abgeordneten der Partei nutzen, zwei Generäle. Da die Partei als kriminelle Organisation angeklagt ist, wird sie von der Polizei nicht geschützt. Fountoulis erzählt, das Büro habe am Heiligen Abend eine Gasbombe abgekriegt, „die eingeschlagenen Fensterscheiben wechseln wir nicht mehr aus“. Das Büro ist fast leer. „Hier kommt niemand her, die Leute haben Angst.“

„Weil das keine Diebe sind“

Dann sitze ich beim Vater des Erschossenen im Büro. Er war Postler, neun Jahre draußen, dann Packelschupfen im Innendienst. „Es ist unglaublich“, sagt er, „aber ich habe immer links gewählt, Pasok, dann Syriza.“ Erst 2012 begann er, Goldene Morgenröte zu wählen, parallel mit dem Engagement seines arbeitslosen Sohnes, „weil das keine Diebe sind“. Sein Sohn habe ihm versichert: „Wir wollen keine Einwanderer in Griechenland, aber wir bringen sie nicht um.“

Wie erwartet bestreitet er den faschistischen Charakter der Partei. Der Fyssas-Mörder sei bei der kommunistischen Gewerkschaft gewesen, hinter den Morden stecke die damalige Regierung, und das dem Hakenkreuz ähnelnde Parteisymbol habe eine ganz andere Geschichte. Ich blicke auf ein Foto seines Sohnes, muskulös im Morgenröte-T-Shirt und geschoren. Als Physiotherapeut habe der „friedliche Bub“ Muskeln gebraucht, erklärt der Vater, die Haare seien ihm wegen der langen Arbeitslosigkeit ausgefallen. „Er ist ein guter Junge mit einem goldenen Herzen.“ Giorgos habe gratis Behinderte behandelt, habe Pasta und Reis für arme griechische Familien gesammelt.

Wie befürchtet wird mir der Mann im blauen Strickpulli sympathisch. Ich glaube ihm, dass er Fyssas' Vater zu einem gemeinsamen Aufruf gegen Gewalt einlud. Ich glaube ihm, dass er kein Faschist ist. Der Goldenen Morgenröte glaube ich das nicht. Einige Male rührt mich der trauernde Vater. Giorgos habe exakt an seinem Todestag die Zusage für einen Job bekommen – vom dritten Mann, den der unerkannte Täter zum Krüppel schoss. „Ich ekle mich vor Politik“, sagt er, „meine Frau wollte, dass ich kandidiere. Ich war ein Idol für meinen Sohn, nun ist er ein Idol für mich.“ In Brüssel verbringe er den ganzen Tag im Parlament, von halb neun bis 22 Uhr. „In Brüssel ist es besser. Weil man frei sprechen kann.“

Der von der EU bezahlte Assistent begleitet mich hinaus. Ich weiß nun, dass er der vierte Mann ist; der einzige, der den Schüssen entkam. Anderswo sehe ich zwar ein Riesenposter der Goldenen Morgenröte, das die Erschossenen als Märtyrer zeigt. Und doch kommt mir die Begegnung immer unwirklicher vor. Griechenland erfährt eine Verarmung, wie man sie sonst nur aus Kriegszeiten kennt. Durch die engen, sonnigen Straßen gehend, erstaunt mich etwas anderes viel mehr: die Zärtlichkeit, die Freundlichkeit. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2015)

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