An seiner Traurigkeit laborieren

Adam Soboczynskis Feuilletonroman „Fabelhafte Eigenschaften“ erzählt vom Leben in Lokalen, Büros und Betten.

Adam Soboczynski, Chef des Feuilletons der nach wie vor wichtigsten deutschsprachigen Wochenzeitung, der „Zeit“, kennt sich aus. Er kennt sich aus in den Dingen, die das Feuilleton beschäftigen: die Gesellschaft, in der wir leben und deren Teil wir alle sind, sowie das Echo der Fragen und Antworten, die sie in Kunst, Wissenschaft und Politik stellt und gibt. Soboczynski hat schon mehrere Bücher veröffentlicht und sich dabei innerhalb der Grenzen des Feuilletons (oder auch der Verlagswelt) bewegt. Jetzt hat er seinen ersten Roman vorgelegt und damit eine Grenze überschritten, hinter der man ihn höchst willkommen heißen sollte. Im Buch wird einmal von einem Roman erzählt, der „halb Roman, halb Essay“ sei, was für dieses Buch nicht zutrifft. Das Wort „Roman“ ist ja nicht nur Deckname für ausgreifende erzählerische Prosa, er bezeichnet auch die Genehmigung für alles, was sich nicht diskursiv mit der Welt beschäftigt, sondern in Form von Geschichten jeder Art und Haltung.

An Geschichten mangelt es in diesem Buch so wenig wie an der Lust, sie weiterzuerzählen. Das hat auch etwas von Klatsch hinter vorgehaltener Hand, und Soboczynski wäre nicht der, der er ist, würde er nicht signalisieren und thematisieren, dass er das weiß. So beginnt das Ganze denn mit einer Vernissage, bei der wir einen noch jungen Maler namens Hans Weinling kennenlernen, der für seine Gemälde, auf denen er nichts anderes als Tiere auf dem Strand zeigt,gerade an der Grenze zum Sehr-bekannt-Sein steht. Nahezu berüchtigt ist bereits sein Ochse auf dem Strand, und wir sehen ihn im Verlauf noch Gorillas, Lemuren, Raben und gefleckte Hunde, die vor dem Meer im Sand stehen, malen, so einen Hund, wie ihn auch das Cover des Buches zeigt. Es ist allerdings die Vernissage eines befreundeten Kollegen, der inzwischen schon wieder abstrakt malt. Wir lernen dort Julia kennen, die für die Kunstzeitschrift eines Versicherungsunternehmens arbeitet und begeistert ist, hier endlich den Künstler ansprechen zu können, den sie schon wiederholt, aber vergeblich zu kontaktieren versucht hat.

Hier zeigt sich denn schon das Prinzip einer Art stiller Post: Die eine Figur bringt die nächste ins Geschehen und jene die übernächste; dazu wird unentwegt telefoniert, oder es werden SMS oder E-Mails geschrieben, ständig kommen neue Personen hinzu, die auch miteinander zu tun bekommen, und wir sehen sie unerwartet und doch erwartungsgemäß in Lokalen, Büros oder Betten aufeinandertreffen. Wir kommen so von Remagen nach Berlin, nach London und Paris, ins Escorial und in irgendwelche Küchen. In diesem Buch tut sich viel, denn die Figuren tun sich und einander sehr viel an, es wird geliebt und gelitten. Es geschieht so viel, dass es sich nicht nacherzählen ließe, manche Kapitel lesen sich selbst wie eine rasch gebündelte Nacherzählung, unterhaltend und treffsicher. Sollten sich die Akteure, die sich gern selbst interpretieren, in ihrer Selbsteinschätzung einmal täuschen, erlaubt sich der Erzähler, das mit einem „Das stimmte aber nicht“ zu korrigieren.

Der Maler, die Redakteurin, der Architekt, die alte Kunsthistorikerin und der alte Literaturwissenschaftler, sie alle werden typensicher und gelegentlich an der Grenze zur Karikatur porträtiert. Bisweilen wirken die Kleidung, die Eigenschaften und Zugehörigkeiten der Protagonisten wie ein Katalog der Zeitgenossenschaft. Vieles kommt einem bekannt vor, so pointiert hat man es jedoch nur selten gelesen. Die Lust am Erfinden verkneiftsich weder unglaubwürdige Zufälle noch den Umstand, dass am Ende einer der Beteiligten ein Buch geschrieben hat, in dem genau das geschieht, was man gerade gelesen hat. Wenn es in diesem überaus unterhaltsamen Roman ein Problem geben sollte, dann liegt das bei den Figuren, die vor jeder individuellen Existenz ihre Berechtigung in diesem Buch vor allem als Typen haben. Sie sind aus Typischem zusammengebaut, das heißt auch: aus leicht Übertriebenem. Das macht sie (wieder-)erkennbar, also witzig.

Wir erkennen, wenn sie uns nicht ganz unbekannt ist, die Welt amüsiert wieder, aus der und von der hier erzählt wird, auch wenn es sich keineswegs um eine an sich lustige Welt handelt. Ob wir sie aber auch erkennen im Sinn von durchschauen, das ist eine Frage, der sich dieser Roman auf elegante Weise entzieht. Eine Welt, in der Liebe heißt, dass man perfekt zusammenpasst, in der man nicht traurig ist, sondern „an seiner Traurigkeit laboriert“ und in der Sehnsucht sich nur noch als Ehrgeiz meldet, ist doch eine Welt, in der etwas fehlt. Aber es ist ganz offenbar die unsere. ■

Adam Soboczynski

Fabelhafte Eigenschaften

Roman. 206 S., geb., € 19,50 (Klett-Cotta Verlag, Stuttgart)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2015)

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