Who the fuck is Inge?

Auf den Spuren von Ingeborg Bachmanns Wiener Jahren: Joseph McVeigh versucht, die letzten Schleier um das „Phantombild“ der jungen Dichterin zu lüften.

Der US-amerikanische Germanist Joseph McVeigh, der sich im deutschen Sprachraum bereits 2012 als Herausgeber der Radioserie „Die Radiofamilie“ einenNamen gemacht hat, für die Ingeborg Bachmann elf Folgen verfasste, legt nun ein detailliertes Werk über Bachmanns Wiener Jahre vor. Diese geben immer noch Anlass zu zahlreichen Spekulationen, da die Autorin „den öffentlichen Umgang mit ihrer Person“ zu verhindern trachtete – mit unterschiedlichem Erfolg. Die „Manipulation privater Belange“ sollte einen Schutzwall aufbauen zwischen Privatperson und Dichterin, die in der Öffentlichkeit stand. Die Zeitspanne zwischen1946 bis 1953 gilt ihr als „Brutstätte“ für ihre literarische Arbeit, in einem Interview sagt sieüber ihre Romanfigur in „Malina“: „Es wird von ihrer Jugend gesprochen, aber was sich in den entscheidenden Jahren von 18 bis 25 ereignet hat, die Zerstörung ihrer Person, wird in Träume verlegt.“

Als knapp 20-Jährige kam die Germanistikstudentin nach Wien, nach Aufenthalten in Innsbruck und Graz, um ihr Studium weiterzuführen. Eineinhalb Jahre nach Kriegsende war Wien immer noch eine zerstörte und hungrige Stadt. Wohnungsnot, Strom- und Wassermangel herrschten, Bombentrichter und Schutthalden prägten das Stadtbild in vielen Bezirken. Der Straßenbahnverkehr kam immer wieder zum Erliegen, zeitweilig wurden alle öffentlichen Abendveranstaltungen wie Kinovorstellungen, Theater und Konzerte untersagt, Privathaushalte durften nur zwei Zimmer gleichzeitig beleuchten, und das auch nur mit 40-Watt-Birnen. Die allgegenwärtige Not ließ die Kriminalität ansteigen, auch der Kulturbereich war unsicheres und umkämpftes Gebiet: „Drei Premieren im Burgtheater mussten verschoben werden, weil sämtliche Kostüme gestohlen worden waren.“

Die junge Bachmann hatte trotz Wohnungsknappheit Glück, sie kam bei einem Cousin ihres Vaters in der Severingasse 15 unter, und bald darauf zog sie in ihr „Ungargassenland“ um, in die Beatrixgasse 26 im dritten Wiener Gemeindebezirk, dem sie in „Malina“ ein kleines Denkmal setzte.

Mit äußerster Detailgenauigkeit und Hilfe bisher unveröffentlichter Briefe und Dokumente aus diversen Nachlässen von Bachmanns damaligem Freundeskreis gelingt es McVeigh, Bachmanns Jahre in Wien nachzuzeichnen. Großes Gewicht legt er auf die Darstellung des besetzten Nachkriegswien, vor allem auf den Einfluss, den die amerikanische Besatzung auf den Aufbau eines neuen Kultur- und Unterhaltungsbereiches nahm. Der Sender Rot-Weiß-Rot, den die amerikanische Besatzung in Wien installierte, war ein Propagandainstrument des Kalten Krieges, die Aufgabe der Redaktion bestand darin, „dem Publikum qualitativ gute Unterhaltungssendungen ohne offensichtliche politische Botschaften zu bieten“. Für Teile der nachfolgenden Künstler- und Intellektuellengeneration Österreichs wurde der Sender zu einem wichtigen Betätigungsfeld.

Auch für die angehende Germanistin undSchriftstellerin, die 1947 eine wichtige Bekanntschaft machte. Hans Weigel, ein Förderer junger Nachwuchsautoren, trat vehement in ihr Leben. Bei der Probe eines Stückes von ihm im Theater an der Josefstadt bat Bachmann um ein Interview. Schon bald „entwickelte sich zwischen den beiden ,eine sehr intensive Freundschaft‘, die zumindest die 21-jährige Bachmann als Liebesverhältnis betrachtete“. Ihre zeitgleiche Beziehung zu Paul Celan, den sie während des Studiums kennengelernt hatte, verkomplizierte ihr Liebesleben erheblich.

Sie befand sich nun im innersten Zirkel Weigels, der im Café Raimund einen Stammtisch unterhielt – man könnte auch sagen, Hof hielt. Hier trafen sich die jungen Dichterinnen und weniger jungen Dichter regelmäßig zum künstlerischen Austausch. Ilse Aichinger, Bobby Löcker, Inge Mörath (späterMorath), Jeannie Ebner, Jörg Mauthe, Otto Mauer und Georg Saiko sind nur einige der bekannteren Namen, die im weiteren Kreis um Weigel zu finden sind. „Der kalte Krieger Nummer eins“ zog hier seine literarischen und politischen Fäden, die 1953 in den Brecht-Boykott mündeten, der immerhin ganze zehn Jahre dauerte, in denen kein größeres Theater in Österreich Stücke von Brecht aufführte.

Bachmann veröffentlichte indes eine Reihe von journalistischen Texten für Zeitschriften und Filmjournale, ihre literarischen Texte wurden unter anderem im „Turm“, einem restaurativen Organ mit konservativer Blattlinie, publiziert. Für die Illustrierte des Senders Rot-Weiß-Rot posierte sie sogar als Mannequin und präsentierte eine Lederjacke, die man bei einem Preisausschreiben gewinnen konnte. Sie bekam schließlich eine Anstellung im Sekretariat der News and Feature Section des amerikanischen Nachrichtendienstes angeboten, ein paar Monate später avancierte sie zur Redakteurin im Sender Rot-Weiß-Rot. Gemeinsam mit Jörg Mauthe und Peter Weiser war sie für das Unterhaltungsprogramm zuständig und maßgeblich an der Entwicklung der wöchentlich ausgestrahlten „Radiofamilie“ beteiligt, unter der Regie von Walter Davy (später bekannt als Kripobeamter Schremser der „Kottan“-Reihe). Bachmann erlernte hier das kultur- und radiojournalistische Handwerk, das ihr in späteren Jahren erlaubte, immer wieder auf diese Art des Gelderwerbs zurückzugreifen, obwohl sie später über die Zeit beim Sender nicht gerne sprach. Ein bisschen peinlich war es ihr wohl, Teil eines Propagandawerkzeugs gewesen zu sein.

Das regelmäßige Gehalt bei gleichzeitiger Flexibilität der Arbeitszeit ermöglichten es ihr aber, sich verstärkt ihrer dichterischen Arbeit zuzuwenden. Sie unternahm Reisen nach Paris und London, erhielt Einladungen der Gruppe 47, 1953 erschien ihr Lyrikdebüt „Die gestundete Zeit“, mit dem sie einer großen Öffentlichkeit bekannt wurde.

Zwei Jahre zuvor heiratete Hans Weigel die Schauspielerin Elvira Hofer, und für Bachmann, die in ihren Briefen an ihn stets ein „starkes Zuhause“ imaginiert und immer wieder von ihrer gemeinsamen fiktiven „Tochter Martina“ gesprochen hatte, begann eine Zeit des „heroischen Nihilismus“. Sie verließ Wien 1953, mit dem Preis der Gruppe 47 für „Die gestundete Zeit“ im Gepäck. Der Patriarch Weigel, obwohl anderwärtig verheiratet, empfand ihren Weggang „als persönliche Beleidigung“ und schimpfte ihr brieflich nach („Spinnt größenwahnsinnig, hält sich für eine Dichterin mit großem D“).

Auf den Rat von Hans Werner Henze ließ die Bachmann sich erst einmal in Ischia nieder. Aber das ist eine andere Geschichte. ■


Joseph McVeigh stellt das Buch am Donnerstag, 14. Jänner, um 18.30 Uhr im Wien Museum am Karlsplatz vor. Mit ihm diskutiert Ruth Beckermann, moderiert von Kristina Pfoser. Am Freitag, 15. Jänner, führt der Autor ab 15 Uhr von der Ungargasse 6 weg zu Bachmann-Orten in Wien.

Joseph McVeigh

Ingeborg Bachmanns Wien 1946-1953

Porträt der Dichterin als junge Frau. 314 S., 30 SW-Abb., geb., € 25,70 (Insel Verlag, Berlin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2016)

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