Was ich lese

Politologe, Kunstsammler, Gründer des Museums Humanum in Fratres
[ Foto: Archiv ]

Im Alter von zwölf Jahren hatte mich das Elvis-Fieber erfasst: Die aufwiegelnde, schneidende Stimme, mit der der „King“ den Jailhouse-Rock oder „Blue SuedeShoes“ heulte, brachte mein Unbehagen an der Welt zum Vibrieren. Man konnte den Schock genießen, den diese unerhört zügellose Musik bei Eltern und Präfekten auslöste. Es war ermutigend, geradezu eine Initiation. Dass dieser Rebell auch ein frommer Gospel-Sänger war, hätte ich ihm damals wohl kaum verziehen. Erst kürzlich, als die überlebenden Mitglieder von Elvis' Kultband „Imperials“ ins Waldviertel kamen, um für Omas Weihnachtsliederzu singen, wurde mir die Bandbreite seines Repertoires schmerzlich bewusst.

Das Buch The Gospel Side of Elvis von Joe Moscheo (Center Street Books, New York) führt uns einen grüblerischen, verzweifelt suchenden und zunehmend isolierten Menschen vor Augen, der versuchte, seinem Image zu entrinnen und zu seinen musikalischen Ursprüngen – dem Gospel-Gesang – zurückzukehren. Der Autor des Buches, Moscheo, will den drogenabhängigen Superstar durch das Geschenk einer Bibel auf den Weg der Bekehrung geführt haben. Tatsächlich bevorzugte Elvis in seinen letzten Jahren Lieder,die er als Kind bei der Sonntagsmesse gesungen hatte. Doch seiner Interpretation dieser Hymnen und Psalmen haftete nichtselten etwas kommerziell Geglättetes und kniefällig Süßliches an.

Liedgut dieser Art wäre auch in meinem klösterlichen Internat durchgegangen. Was von meinem Elvis-Fieber übrig geblieben ist? Dankbarkeit, dass man mit solcher Unterstützung aufwachsen durfte! Es stimmt schon, man sollte einem Mythos nicht zu nahe treten. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2016)

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