Geselle mit Empathie und Bleistift

Jochen Jungs mitreißende Autorenporträts aus 40 Jahren als Lektor, Verleger und Autor.

Der Titel ist Programm. In Ohlsdorf und Chaville haben die wohl exzeptionellsten österreichischen Schriftsteller, von denen hier die Rede ist, nämlich Thomas Bernhard und Peter Handke, eine Heimat gefunden. Den Raum dazwischen bevölkern andere, die nicht minder erwähnenswert sind.

Auch ihnen widmet Jochen Jung eingehende Kapitel. Jenes über Gert Jonke etwa liest sich wie eine eigenständige kleine Poetik. Jonke ist „der Vogel, der geflogen kommt, sich niedersetzt und uns etwas vorsingt, das wir so noch nie gehört haben, um uns an etwas zu erinnern, was wir immer schon wussten“. Eine schönere Metapher für das, worum es bei Dichtung im Eigentlichen geht, hätte Jung nicht finden können. Sie trifft zweifellos auf Gert Jonke zu, jedoch nicht nur auf ihn.

Dichter werden gleichsam aus einer höheren Sphäre beliefert, zu der sie sich wie die Vögel immer wieder aufs Neue aufschwingen. Sie konfrontieren uns in immer neuen Wendungen mit den archaischen Bildern, die sie aus dem Erfahrungsschatz schöpfen, der uns allen gemeinsam ist. Sie rufen sie uns als etwas, was uns angehört, in Erinnerung und treffen uns so in unserem Innersten.

Darin liegt der Zauber, der von gelungener Dichtung ausgeht und den Jung sich zu Recht von ihr erwartet. Daher seine Skepsis, die er experimenteller Literatur gegenüber lange gehegt hat. Literatur kann nur dann sein Interesse wecken, „wenn sie sprachliche und formale Risiken mit der Untersuchung menschlichen Verhaltens verknüpft“. Sie muss uns etwasangehen, sonst berührt sie nicht.

Ein Wandler zwischen den Welten

Ihr Dasein zwischen den Welten macht die Dichter verletzlich. Hier kommt ihr „Geselle“ – der Verleger und/oder Lektor –ins Spiel. Sein „wichtigstes Arbeitsinstrument neben dem Bleistift ist die Empathie“. Sie gilt den Texten, aber auch ihren Autoren.

Das Verhältnis, das die „Dichter und ihr Geselle“ zueinander haben und das naturgemäß ein sehr enges ist, schildert Jung in zahlreichen Episoden, die ihm während seines nun 40-jährigen Lektor- und Verlegerdaseins widerfahren sind und die die Qualität von mitreißenden Autorenporträts haben. Er schöpft aus einem reichen Schatz. Seine Protagonisten, allesamt schillernde Gestalten der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur,tragen das Ihrige dazu bei, das Buch lesenswert zu machen.

Ihr Leben verläuft nicht immer in geordneten Bahnen, und sie sind selten mit den gängigen Maßstäben zu messen. Schnell wird klar, dass ihr Lektor neben seinem unbestechlichen Blick für literarische Qualität vor allem auch einer diplomatischen Begabung und eines großen Maßes an Menschenkenntnis bedarf. Jungs Untertitel „Die Dichter und ihr Geselle“ ist eine gelungene Drehung des Romantitels von Eichendorff: „Dichter und ihre Gesellen“.

„Zwischen Ohlsdorf und Chaville“ ist ein sehr persönliches Buch. Es schildert Jochen Jungs Werdegang, beginnend mit seiner früh getroffenen Entscheidung, seinem Leben mit Literatur einen Inhalt zu geben, über seine Jahre beim Residenz Verlag bis zur Gründung seines eigenen Verlags Jung und Jung. Es ist vor allem aber auch ein spannendes Stück österreichischer Verlags- und Literaturgeschichte. ■

Jochen Jung

Zwischen Ohlsdorf und Chaville

Die Dichter und ihr Geselle. 176 S., eine SW-Zeichnung, geb., € 17,90 (Haymon Verlag, Innsbruck)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2016)

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