Ungnädig gegenüber der Partei

Respektvoll: Gunter Hofmanns Biografie über den im Vorjahr verstorbenen deutschen Altkanzler Helmut Schmidt.

Eine Ikone war er in seinen letzten Lebensjahrzehnten. Er ist biblisch alt geworden; da wird man unweigerlich zur moralischen und politischen Autorität: Helmut Schmidt, im Vorjahr im Alter von 97 Jahren gestorben. Als historisch interessierter Beobachter muss man es bedauern, dass der andere große Deutsche, Helmut Kohl, nichts mehr sagen kann. Die Krankheit verhinderte, was man sich spannender kaum vorstellen kann: ein Zwiegespräch der beiden prägenden Bundeskanzler.

Gunter Hofmann, bis 2008 Chefkorrespondent der „Zeit“, wählt einen interessanten Ansatz, um Schmidts Auffassung von Politik zu beschreiben. Er zitiert den alten SPD-Fraktionschef Herbert Wehner, der zeitlebens den Fehler seiner Jugend, die KPD-Mitgliedschaft, gutzumachen suchte, indem er ständig postulierte, den Karren so lange zu ziehen, „wie der Karren will“. Ähnliches vermutet der Biograf in der Haltung Schmidts, der in der Marine-Hitlerjugend aufwuchs und als Oberleutnant in Kriegsgefangenschaft geriet. Er betrachtete sein politisches Agieren als eine Art Dienstverpflichtung.

Als Beruf, dem er sich lebenslang verschrieb, hatte sich Schmidt die Politik sicher nicht erträumt. Ab und zu kokettierte er noch im Bundeskanzleramt, dass er als Manager vielleicht auch ganz gut verdienen würde. Aber ganz lassen konnte er die Droge auch nicht. So wurde aus dem Politpensionisten ein Zeitungsherausgeber und viel beachteter Kommentator, der so wie Henry Kissinger den unschätzbaren Vorteil auf seiner Seite wusste, alle überlebt zu haben, die ihm hätten widersprechen können.

In Hamburg-Langenhorn hatte der einstige Innensenator sein futuristisches Zuhause, mit Loki die ideale Lebenspartnerin. Hier, in dem noblen Stadtteil, begegnete er auch den SPD-Mitgliedern fast freundschaftlich. Erstaunlich genug, wenn man weiß, wie herablassend, manchmal vernichtend er über Parteifreunde herziehen konnte. Hier lernte er, den Leuten aufs Maul zu schauen, hier lamentierte er auch nicht über das „Gesabbel“ in den Parteigremien, wie er das später als „Kanzler Ungnädig“ zu tun beliebte.

Dass Schmidt 1974 Kanzler der Bundesrepublik Deutschland wurde, ist dem Zufall geschuldet. Willy Brandt trat nach dem Spionageskandal Guillaume zurück. Schmidt, der schon Erfahrung als Fraktionschef, dann als Verteidigungs- und Finanzminister besaß, war der logische Nachfolger. Doch zum Vorsitzenden wählte ihn die SPD nie. Das Karriereende kam durch die FDP, die 1982 zum CDU-Chef Helmut Kohl hinüberwechselte und Schmidt stürzte. Unvergessen sein Auftritt bei einem SPÖ-Parteitag in Wien, als der soeben Gescheiterte die österreichischen Genossen vor jeglicher Koalition warnte.

Für den österreichischen Leser höchst bemerkenswert ist der Streit um die Wehrmachtsausstellung, die den „Zeit“-Herausgeber derart erzürnt hat, dass er in mehreren Artikeln und in Talkshows scharf dagegen angekämpft hat. Schmidt, so wie Waldheim Oberleutnant, gab erregt zu Protokoll, dass man in seiner Einheit im Russland-Feldzug von der Vernichtung der Juden „überhaupt nichts gewusst und gehört“ habe. Schmidt glaubte man, Waldheim nicht. Schmidt konnte sich daher auch den Gegenangriff erlauben: „Ich sehe alle vor mir, die großen Widerstandskämpfer der Studenten von 1968!“ Nein, die Anklagebank war nichts für ihn.

Seine unverbrüchliche Amerika-Treue hat ihm Ärger mit den Jusos eingetragen, sein Beschluss zur Raketennachrüstung hätte fast die Partei gespalten, seine unnachgiebige Haltung in der schwersten Krise der Bundesrepublik, als die Rote Armee Fraktion den Umsturz geplant hat – dies alles hat ihm Respekt eingetragen. Wie hätte Schmidt heute angesichts der Herausforderung durch den IS gehandelt? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass er als Zeitungskommentator und Welterklärer bis zum letzten Atemzug eine klare entschlossene Abwehrhaltung gepredigt hat. Er fehlt schon jetzt. ■

Gunter Hofmann

Helmut Schmidt

Soldat, Kanzler, Ikone. Biografie.
464 S., geb., € 25,70 (C. H. Beck Verlag,
München)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2016)

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