Ein Leben als ewiger Prolog

Auf kalkulierte Weise lässig zu sein, darauf käme es an, doch diese Technik der Täuschung beherrscht Hannah nicht. Sie wird zermahlen und sie vereinsamt. „Traurige Freiheit“: Friederike Gösweiners Roman ist todtraurig. Aber ein exzellentes Debüt.

Ich weiß nicht, wann ich zum letzten Mal einen so traurigen Roman gelesen habe. Einen schmalen, aufsehenerregend unspektakulären Roman um eine junge Frau, deren berufliche Lebenspläne und private Hoffnungen zunichte werden, ausgerechnet als sie das Studium erfolgreich hinter sich gebracht hat.

Was die bildungspolitische Propaganda behauptet, hat sie gerne geglaubt: dass der gut ausgebildeten Jugend nämlich die ganze Welt offenstehe. Nach einem Jahr, in dem sie sich um zahllose Jobs und Praktika beworben und demütigenden Bewerbungsgesprächen gestellt hat, weiß sie, dass alles ganz anders ist: „Ihr standen keine Wege offen. Niemand brauchte sie. Niemand wollte sie. Sie war zu nichts nutze.“

Der ständige Misserfolg, in ihrer Branche wenigstens zu einem schlecht bezahlten Job zu kommen, drückt sie nieder, sodass sie die Schuld an der Misere bei sich zu suchen beginnt: „Stellte sie sich nur besonders dumm an? Hatte sie im Gegensatz zu allen anderen etwas falsch gemacht?“

Dabei hat sie es eigentlich richtig gemacht. Eigentlich. Ihr Lebensgefährte Jakob arbeitet seit einiger Zeit in einem österreichischen Krankenhaus, aus ihm wird eines Tages ein tüchtiger Kinderarzt geworden sein. Hannah aber, die sich unvorsichtigerweise auf die Geisteswissenschaften eingelassen hat, findet lange keine Anstellung und erhält endlich das Angebot, ein Volontariat bei einer Berliner Zeitung anzutreten. Jakob will mit ihr zusammenbleiben und, da sein Einkommen dafür ausreicht, gerne auch alleine die Mietkosten für die gemeinsame Wohnung übernehmen.

Hannah jedoch möchte nicht studiert haben, um dann von ihrem Freund zu leben, und wiewohl auch ihr die Beziehung wichtig ist, macht sie sich auf nach Berlin, um sich in dem Beruf fortzubilden, den sie für den ihren hält, und endlich finanziell auf eigenen Beinen zu stehen. Das war doch nicht falsch, am Selbstverständlichen festzuhalten – am Entwurf eines Lebens, in dem sie für sich selbst zu sorgen imstande ist?

Unerbittlich zeigt die 1980 geborene Tirolerin Friederike Gösweiner in ihrem literarischen Erstling, was aus Hannahs Anspruch ans Leben, was aus dieser jungen Frau selber wird, die gerne fleißig wäre, wenn man sie nur ließe.

Der Roman „Traurige Freiheit“ ist zeitlich nicht datiert, er erstreckt sich über beiläufig ein Jahr, vielleicht 2012, was sich indirekt aus Verweisen auf die Jugendrevolte, die im Sommer 2011 in London aufflammte, und auf den Beginn des Arabischen Frühlings schließen lässt, der übrigens als Aufstand gut ausgebildeter junger Leute, die beruflich, sozial, politisch um ihre Zukunft betrogen wurden, begann. Hannah lebt inBerlin, das Volontariat ist nach zwei Monaten zu Ende, und es dauert deprimierend lange, bis ihr wieder eine Chance geboten und sie zum „Test für die Lehrredaktion“ von der größten Berliner Tageszeitung einbestellt wird.

Als sie zum angegebenen Termin erscheint, findet sie dort schon ihre Konkurrenten vor, denn nichts anders bezweckt die Inszenierung, als dass sich die gar nicht mehrso jungen, allesamt bestens ausgebildeten und völlig unversorgten Leute als Gegner betrachten, die einander in einem gemeinsamen Gespräch mit den drei Redakteuren ausstechen müssen.

Das läuft heute natürlich wie im Fernsehen ab, im knallharten Kampf um denPosten müssen sie alle so tun, als würden sie den Spaß genießen, ein entspanntes Gespräch unter Fachleuten und Kollegen zu führen. Dabei steht ein jeder unter dem Zwang, sich mit wenigen Sätzen, mit klugen Bemerkungen oder geistreichen Zwischenrufen zu profilieren.

Friederike Gösweiner breitet die Szenerie beklemmend aus, zur Herrschaftstechnik der Redakteure gehört, dass sie die Kandidaten völlig im Unklaren darüber lassen, womitdiese punkten könnten: „Es gab kein Richtig und kein Falsch in so einem Gespräch, man wusste nicht, was das Gegenüber hören wollte, man versuchte, es zu antizipieren, darin lag die Kunst, und gleichzeitig möglichst authentisch und natürlich zu wirken, als sage man immer bloß das, was man sich eben gerade dachte, als antworte man auf die Frage so, wie man darauf antworten würde, säße man mit Freunden an einem Tisch, in einem Pub oder einem Café.“ Auf kalkulierte und beherrschte Weise lässig zu sein, darauf käme es an, doch diese Technik der Täuschung beherrscht die ernste Hannah nicht.

Wie sie beruflich in ihrem Berliner Jahr nichts weiterbringt, gerät sie auch mit ihren privaten Angelegenheiten in die Krise. Sie lebt in der Wohnung ihrer Freundin Miriam, die wegen eines Jobs nach Moskau übersiedelt ist, und verliert sich nach und nach in grüblerischer Einsamkeit.

Ausgerechnet in Berlin, wo immer Party sein soll, lernt sie kaum jemanden kennen, ihren 30. Geburtstag verbringt sie alleine. Immerhin in dem Café, in dem sie zu kellnern beginnt, ist sie unter Menschen, und einer der Stammgäste, fast 20 Jahre älter und gerade aus dem Fach, nach dem sie strebt, beginnt um sie zu werben.

Was dieser Martin Stein wirklich von ihr will, darüber kann Hannah nur rätseln, und wir tun es mit ihr: Erstens weil wir von der Welt in der diszipliniert durchgehaltenen Perspektive des Romans nur erfahren, was Hannah von ihr sieht und in ihr fühlt; und zweitens, weil wir lesend längst eine Zuneigung zu dieser jungen Frau gefasst haben, der ihr natürlicher Anspruch auf Anerkennung, Glück, berufliches Fortkommen vollständig zermahlen wird.

Auch mit Stein, der es zu genießenscheint, auf die jüngere Frau Eindruck als rätselhafter Melancholiker zu machen, wird es nichts Richtiges, nicht einmal eine kurze Affäre, es bleibt bei einer Serie vielversprechender Prologe, auf die kein aufregendes Stück folgt.

So wird aus dem Roman eine zu Herzen gehende Studie über die Einsamkeit, der Friederike Gösweiner vor einigen Jahren ein literaturwissenschaftliches Buch gewidmet hat. Nach einem Unfall widerfährt Hannah das Schlimmste: dass sie aus der Großstadt besiegt ins Haus der Eltern in der österreichischen Provinz zurückkehren muss. Aber noch einmal bricht sie auf, wieder nach Berlin.

Niemand wartet dort auf sie, ihre Stelle als Kellnerin ist längst von einer der zahllosen anderen jungen Frauen besetzt, die sich mit jämmerlich geringem Gehalt ihre Unabhängigkeit zu erkämpfen oder zu bewahren versuchen; von Jakob hat sie die knappe Nachricht erhalten, dass er die Wohnung aufgelöst habe und Vater werde – und Miriam, selbst enttäuscht, kündigt die vorzeitige Heimkehr aus Russland an.

Was aus Hannah wird, bleibt offen, die düsterste Wendung der Dinge inbegriffen. Ein todtrauriger Roman, ein exzellentes Debüt. ■

Friederike Gösweiner

Traurige Freiheit

Roman. 144 S., geb., € 18 (Literaturverlag Droschl, Graz)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2016)

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