Als die Hunde weg waren

„Expedition Europa“: wieso ichjetzt lieber durch Bukarest gehe.

Bei Nachtfahrten oft dieser Schrecken: struppig-dürre Hunde mit glasig-besessenen Augen, sie springen dir vor den Wagen, selbstmörderisch verrückt. Es ist dies ein altes rumänisches Phänomen, wohl 200 Jahre alt. Da westliche Tierschutzvereine, angeführt von den aus Österreich geleiteten „Vier Pfoten“, für diese Hunde kämpfen, ist es auch ein europäischer Diskurs.

Laut „Institut für Infektionskrankheiten“ wurden 2013 allein in Bukarest 6886 Menschen von streunenden Hunden gebissen. Dann war ein Kind tot, Ionuţ Anghel, und ein neu erlassenes Gesetz erlaubte ihre „Euthanasierung“. Der amtierende Bürgermeister, Sorin Oprescu, versprach zurückzutreten, wenn nicht 80 Prozent der Straßenhunde innerhalb von 18 Monaten von der Straße seien. Oprescu wurde vorher zwar eingebuchtet, das Gesetz aber wirkte. Als ich neulich durch Bukarest spazierte, waren sie weg.

Ich ging zur zuständigen Behörde, Aspa, „Autorität für Überwachung und Schutz von Tieren“. Eigentlich wollten sie mich kurz vor Dienstschluss loswerden und Statistiken nachschicken – von den mehr als 50.000 eingefangenen Hunden wurde angeblich die Hälfte weitervermittelt und die Hälfte euthanasiert. Eine Beamtin saß faul blinzelnd am Computer; die beiden Beamten hatten selbst Hunde, wenn auch keine adoptierten Streuner, und rechtfertigten mir laut gestikulierend ihre Arbeit. Der eine griff sich auf den Oberschenkel, er sei selbst gebissen worden. „2013 gab es 18.000 Bisswunden, seither nur noch insgesamt 800.“ Der andere, stark parfümiert, erklärte: „Herrenlose Hunde waren die Herren von Bukarest. Schuld sind die Menschen, die den Hunden das Gefühl geben, das sei ihr Territorium.“

Auf der Straße geboren

Straßenhunde heißen auf Rumänisch „maidanezi“, im Ukrainischen ist der„Maidan“ ein Platz. Ich erzählte von ukrainischen Hunden, ausgesetzt nach der Finanzkrise 2008: „Die sind nicht aggressiv, die rennen weg. Warum sind sie in Rumänien so gestört?“ Der Parfümierte lachte: „Sie wollen ja nur dein Auto beißen.“ Er erklärte das Phänomen mit Ceauşescu, der die alten Wohnhäuser samt Hof planieren ließ. Als Erklärung für zwei Jahrhunderte seltsamen Mensch-Hund-Verhältnisses reichte mir das nicht. Ich nahm aber mit, dass der typische Maidanez nie ein Herrl hatte. Er ist auf der Straße geboren – wie schon Generationen vor ihm.

„Vier Pfoten“ klingt in der Aussprache der 20 bis 30 rumänischen Mitarbeiter unverständlich, der Verein hat ein liebliches Haus mit Gärtchen im Zentrum. Anderswo sprach ich Shahin Ciobeţa, 43, feine, kleine Hände, verletzlicher Blick. Er fand das Verschwinden der Straßenhunde gut, nur die Methode nicht: „Wir sind für Sterilisierungen.“ 18.000 Bisse kam ihm übertrieben vor, die Hunde, die Ionuţ Anghel zerfleischt hatten, seien keine Maidanezi gewesen. „Der Hund kennt kein Gut und Böse. Er greift an, wenn sein Territorium verletzt wird.“

Er klagte Aspa für den Tod von 30.000 Hunden an, „mit billigen, verbotenen Substanzen“. Er warf Aspa auch Betrug vor: „Den Auftrag zum Einfangen bekamen eine Baufirma und eine Biskuitbäckerei. Die nehmen 50 Euro pro gefangenem Hund. Viele lassen sie gleich wieder frei, um noch einmal zu kassieren.“ Die rumänische Öffentlichkeit nehme „Vier Pfoten“ sehr positiv wahr. Nur Pro TV habe gegen „Vier Pfoten“ kampagnisiert: „Die behaupten, dass wir um 600 Euro Hunde für Sex nach Norwegen verkaufen.“

Als ich hinterher durch Bukarestging, konnte ich mir die Wahrheit schwer zusammenklauben. Ob Aspa sich wirklich um Adoptionen bemüht, ob Aspa nicht automatisch nach der gesetzlichen 15-Tage-Frist euthanasiert. Ich gebe aber zu, dass ich jetzt lieber durch Bukarest spaziere. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.