Den Körper zum Feind

Sophie Reyers lyrische Prosa über Frauenschicksale.

Sophie Reyer schreibt Lyrik, Prosa und Theatertexte, arbeitet außerdem im Bereich Performance. Nun legt sie mit „Schläferin“ eine Erzählung über eine Frau vor, die mit Schuldgefühlen hadert aus einer Vergangenheit, die nicht vergehen will. Die existenzielle Frage lautet: „Wer sucht einen äußeren Feind, wenn der Feind innen ist?“

Während am Beginn der Erzählung noch ein Moment trügerischer Idylle aufblitzt – ähnlich wie in Marlen Haushofers „Wand“ –, eröffnen sich bald Abgründe. Zuvor: Wiese, Karnickel, Helligkeit, frischblauer Himmel, und es erschließt sich noch nicht, dass die Protagonistin Sara sich als Probandin für Medikamententests zur Verfügung gestellt hat. Schläferinist sie, auch um von ihrem inneren Feind loszukommen. Die Wände, wie bei Haushofer aus Glas, sind hier zwar greifbarer und konkreter, jedoch genauso isolierend, lassen Sara alleine mit ihrem Kopf, diesem „Kreisel, der sich um alle Gedanken dreht“. Die in der Erzählung ständig präsenten Glaswände gaukeln Durchlässigkeit vor und sind trotzdem Hindernisse, gegen die Sara immer wieder stößt im Kampf gegen sich selbst.

In der Transparenz des Glashauses, in dem Sara lebt, liegt auch dessen Härte –sie wird erst aufgeweicht, als Sara Bill trifft, der einen Baum malt. Mit ihm kehren Weichheit und Gefühle in Saras Leben zurück, auch die Sehnsucht nach dem Kind wird konkreter, und wir erfahren: Auch an dem Kind werden medizinische Experimente durchgeführt. Im Spiegelbild der Vitrine, in dem das Kind nun liegt, sieht Sara ihren eigenen Körper als Fremdkörper. Frauenkörper sind in Reyers Texten oft gequält, leiden an gestörtem Essverhalten, an Formen des sexuellen, körperlichen, psychischen Missbrauchs, bestrafen sich selbst. Vielleicht findet sich Reyers Glaubensbekenntnis in der Aussage ihrer Protagonistin, sie glaube nicht an Mutterliebe, sondern „an die Unterdrückung der Frau in unserer Gesellschaft“.

Kindsmörderinnen

Der Titel der Erzählung erinnert an den zweiten Teil von Elfriede Czurdas Romantrilogie („Die Schläferin“, 1997). Auch Reyers Prosatexte können als literarische Variationen über Frauenschicksale gelesen werden. Dass Sara sich als Kindsmörderin sieht, ist ein Motiv, das Reyer bereits in „Marias. Ein Nekrolog“ aufgriff: Darin entwirft sie ein Kaleidoskop aus Bildern von Kindsmörderinnen – in der Literatur des 19. Jahrhunderts wegen seiner Brisanz ein zentrales Thema. Reyer ist eine Seiltänzerin, „Schläferin“ ein sensibler Balanceakt, Sara wird als schuldige Unschuldige gezeichnet.

Kann man anfangs noch unterscheiden zwischen Saras Traumwelten und äußerer Handlung, verschwimmt diese Grenze zusehends. Medikamente bringen Sara nicht bloß zum Schlafen, sie beeinflussen ihre Träume und ihre Wahrnehmung von Zeit, von Vergangenheit und Gegenwart. „Irgendwann sind sie so in die Stunden gefallen“ ist eine der Formulierungen, in denen die Lyrikerin durchscheint, ihre Skepsis, die die Kluft zwischen Zeichen und Bezeichnetem befragt.

Auch in dem Roman „Teufelchen“ spürt man die Lyrikerin: Teresa, an der Schwelle zum Schulalter, hat eine magersüchtige Mutter. Auch hier überzeugt Reyers Sprachskepsis, mit der sie diese Mutter zeichnet, die allmählich in ihrem eigenen Körper verschwindet, ihren Lebenswillen in diese „Kapsel“ mitnimmt. Auch hier durchkreuzen die Zeitlinien einander, und übrig bleibt Vergessen. ■

Sophie Reyer

Schläferin

Erzählung. 64 S., brosch., € 5 (Edition Atelier, Wien)

Sophie Reyer

Teufelchen. Roman. 200 S., brosch., € 16,80 (Leykam Verlag, Graz)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2016)

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