Das Gefängnis ist kein Ponyhof

„Die Prinzessin von Arborio“: Bettina Balàka erzählt die Geschichte einer Mörderin, deren reales Vorbild vor Jahren den hiesigen Boulevard zum Jauchzen brachte. Ohne Erregungskeule, jedoch mit feiner Klinge.

Die österreichische Schriftstellerin Bettina Balàka hat die erfrischende Gabe, ihr Lesepublikum immer wieder aufs Neue zu überraschen und sich nicht auf Bewährtes zu verlassen. Sie ist auch eine der wenigen, die gleichermaßen Prosa, Dramatisches und Lyrik verfasse, für alle Gattungen wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet.

Hat sie sich in ihrem vorigen Roman, „Unter Menschen“, in die erstaunliche Perspektive eines Hundes versetzt, der von Kapitel zu Kapitel zu unterschiedlichen Herrchen wechselt und so die Befindlichkeiten und Verhaltensweisen der Menschen aufdeckt, so erzählt sie in der „Prinzessin von Arborio“ die Geschichte einer Frau, die sich der Reihe nach ihrer Partner (insgesamt drei), derer sie überdrüssig wird, entledigt: eine klassische Schwarze Witwe also.

Von Anfang an ist man dabei, wie Elisabetta Zorzi, so der klingende Name der fleißigen Mörderin, ihre Pläne zur Beseitigung der Männer schmiedet. Zorzi – ihr Nachnamehat sich rätselhafterweise zum Kosenamen entwickelt – ist Wirtin der Cantinetta Zorzi, ein italienisches In-Lokal, in dem Promis und Politiker aus- und eingehen, um die berühmten Risottos und Pastavariationen des sizilianischen Küchenchefs Massimo, der natürlich in seine Chefin verliebt ist, zu bestellen. Zum Glück erhört sie ihn nicht, denn „was, wenn es mit ihm schiefginge“? Der Kochwäre bald Geschichte und das Lokal müsste zusperren. Eine weitere Attraktion ist die Wirtin selbst, ihr Lebensgefährte Bernhard hat Zorzi nämlich dazu gebracht, sich operativ verschönern zu lassen, „ihre natürlichen Schlupflider wurden entfernt und der Blick aus ihren rehbraunen Augen weit geöffnet“. Dann wurden die Brüste vergrößert, die Nase verkleinert und die Lippen aufgefüllt.

Es zahlt sich aus, die Männerwelt erweist sich als äußerst dankbar. Jedesmal, wenn sie von einer Operation zurückkehrte, „arbeiteten sogar die Kellner in ihrem Restaurant schneller und besser“, die Männer „luden sie in ihrem eigenen Lokal auf Getränke ein, brachten ihr Geschenke“. Was Zorzi auf den Gedanken bringt, dass sie eigentlich etwas Besseres als Bernhard verdient, der ja offensichtlich mit ihrem Originalzustand nicht zufrieden war, ihr wahres Ich nicht zu schätzen wusste und nicht wie all ihre anderen Verehrer um ihr Wohlergehen besorgt war. Die alte Wahrheit bestätigt sich: Das Geschöpf wendet sich gegen den Schöpfer.

Dank Balàkas großer Kunst, vergnügliche Unterhaltung mit feiner Ironie und formbewusster Sprache in anspruchsvolle Literatur zu verwandeln, bleibt man von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt von diesem Psychogramm einer Mehrfachmörderin,deren Vita einem möglicherweise bekannt vorkommt. Wer bei Zorzi an Esti denken muss, liegt sicher nicht falsch. Die wahre Geschichte der Wiener „Eislady“ Estibaliz Carranza, der Betreiberin eines Eissalons, die zwei Männer getötet, mit einer Motorsäge zerlegt und die Leichenteile in ihrem Keller in Beton eingegossen versteckt hat, lag quasi lange Zeit in der Luft, darauf wartend, dass sich jemand ihrer annahm. Auch Esti hat sich, zwar nicht operieren, aber mit Botox und Hyaluron auffrischen lassen und damit der Wunschvorstellung ihrer jeweiligen Partner entsprochen.

Esti und Zorzi verbindet vor allem die fatale Sehnsucht nach Anpassung und partnerschaftlicher Übereinstimmung, die mangels Selbstbewusstsein in tödliche Vernichtungsfantasien kippt, die letztlich realisiert werden. Bernhard ist für Zorzis Harmoniesucht denn auch nicht dankbar, sondern verlangt immer mehr und entwickelt diametral eine immer größere Verachtung Zorzi gegenüber. Er beschimpft sie als „feige Nuss“, „Faulpelz“, „Minititte“. Während einer Bergwanderung stößt Zorzi ihn in einen Abgrund, ihr erster Mord, der nicht entdeckt wird, sondern ohne Verdachtsmomente als klassischer Sportunfall durch Selbstüberschätzung zu den Akten gelegt wird.

Erst nach dem dritten Mord beginnt es, in Zorzis Universum zu knirschen, die Polizei wird aufmerksam: Es ist doch etwas ungewöhnlich, wenn einem die Männer der Reihe nach wegsterben wie die Fliegen. Die zweite Hauptfigur des Romans, der Profiler Arnold Körber, tritt auf den Plan, und Zorzi kommt ins Schleudern. Ein winziges Detail wird ihr zum Verhängnis; bis zum Geständnis, oder bis sie Körber „aus der Hand frisst“, wie er es nennt, dauert es aber noch.

Im letzten Drittel des Buches erlebt man Zorzi im denkmalgeschützten Frauengefängnis Weißenach, in einem ehemaligen Schloss,dem in der Realität wohl die Justizanstalt Schwarzau entspricht, die einzige Vollzugsanstalt für Frauen mit Haftstrafen über 18 Monate in Österreich, in der Estibaliz Carranza unter anderem mit Elfriede Blauensteiner ihre Haft abgebüßt hat. In der Schlosskapelle fand die Hochzeit des letzten habsburgischen Kaiserpaares statt – ein Gebäude mit wechselvoller Geschichte.

Der Alltag der Häftlinge wird von Baláka eindringlich geschildert, und obwohl das Gefängnis natürlich kein Ponyhof ist und man „von Elementen der Lebensfreude“ möglichstferngehalten wird, scheinen die Vergangenheit des Gebäudes, die Abgeschiedenheit und Ruhe der Anlage positiv auf die Gegenwart abzufärben. Es ist kein zerstörerisches kafkaeskes Labyrinth, einmal im Jahr findet sogar ein Tag der offenen Tür statt, mit Volksfestcharakter: Imbissstände und Marktbuden werden aufgebaut, Konzerte von den Insassinnen gegeben, und angehende Polizeihunde zeigen ihre Kunststücke.

Die Beziehung zwischen Körber und Zorzi intensiviert sich während Zorzis Haftzeit. Er besucht sie immer noch, obwohl der Fall längst abgeschlossen ist. „Kein Mensch auf der Welt kennt mich so gut wie Sie“, sagt Zorzi mit ihrem italienischen Akzent, und Körber ist gleichermaßen erschrocken wie fasziniert, kommt dieser Satz doch aus dem Mund einer dreifachen Beziehungsmörderin. Wann und zu welchem Zweck sie mit oder ohne Akzent spricht, hat er in einem seiner Gutachten genau dargelegt. Dass die beiden in der „Kuschelzelle“ landen, ist nur eine Frage der Zeit und Zorzis guter Führung zu verdanken. Körber, der ausgefuchste Profiler, ist zu einem Prison Groupie geworden, der Fachausdruck dafür lautet Hybristophilie, die Liebe zu Schwerverbrechern. Und diese Liebe macht ihn taub und blind für Zorzis weitere Pläne. Aber lesen Sie selbst! ■

Bettina Balàka

Die Prinzessin von Arborio

Roman. 262 S., geb., € 19,90 (Haymon Verlag, Innsbruck)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2016)

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