Nur Mut und Gewehre

Erich Hackl lässt im Sammelband „So weit uns Spaniens Hoffnung trug“ 46 Zeitzeugen aus dem Spanischen Bürgerkrieg zu Wort kommen, darunter bekannte Autoren, aber auch Arbeiter und Krankenschwestern.

Kein anderes Ereignis des 20. Jahrhunderts hat weltweit so viele Menschen zum Schreiben veranlasst wie der Krieg in Spanien.“ Mit diesem Satz begründet der Herausgeber des Buchs „So weit uns Spaniens Hoffnung trug“, der österreichische Autor Erich Hackl, seine Entscheidung, sich auf Texte deutschsprachiger Autoren jener Tage im Spanischen Bürgerkrieg zu beschränken, dessen Ausbruch sich am 17. Juli zum 80. Mal jährt. Bewusst verzichtet Hackl auf Erzählungen und Berichte von Menschen, die aufseiten Francos gekämpft haben, weil dies seiner Meinung nach eine „seltsame Auffassung von Pluralismus“ wäre, sie mit Antifaschisten zusammenzuspannen. Das birgt allerdings die Gefahr der Einseitigkeit, die Hackl erkennt, und er räumt ein, es könnte ein einseitiges Bild entstehen.

In der Tat eint nahezu alle 46 Texte der große Enthusiasmus, die Begeisterung für die Sache, sodass Objektivität nicht vorausgesetzt werden kann. Nur wer aufmerksam liest, wird da und dort vermuten, dass nicht nur die rechten Putschisten, sondern auch die bunt zusammengewürfelte republikanische Seite imstande war, Angst und Schrecken zu verbreiten. Wenngleich die Opferzahl, die auf ihr Konto ging, um mindestens eine Zehnerpotenz niedriger liegen dürfte als jene der skrupellosen Allianz aus faschistischen Deutschen, Italienern und dem aufständischen Militär unter General Franco.

Wenn in einem Bericht nebenbei erwähnt wird, dass sich in einem Dorf der Speisesaal für die Soldaten der internationalen Brigaden in einer Kirche befunden hat, lässt es erahnen, dass auch auf republikanischer Seite mitunter brutal vorgegangen wurde. Die ausgewogene Information fehlt naturgemäß in dem Buch. Dennoch ist es ein Kampf mit ungleichen Waffen, wie Rudolf Michaelis schreibt: „Unser Feind verfügt über Flugzeuge, Geschütze und ausgebildete Militärs. Wir haben nur Mut und Gewehre.“

Es sind auch klingende Namen, die in „So weit uns Spaniens Hoffnung trug“ versammelt sind: von Egon Erwin Kisch über Gustav Regler, Anna Seghers, Erika Mann bis Ernst Toller. Spätere Schriftsteller lassen sich vom Spanischen Bürgerkrieg ebenso erstmals literarisch inspirieren wie Arbeiter oder Krankenschwestern, die sich aus Deutschland, Österreich und der Schweiz freiwillig ins Bürgerkriegsland gemeldet haben.

Dementsprechend unterschiedlich ist die Qualität der Texte: Mancher mutet ein wenig propagandistisch an, mancher etwas spekulativ tragisch, anderes ist berührend, empörend, bestürzend. Eine lange Passage widmet Erich Hackl etwa dem Schlosser und späteren Germanisten Albert Vigoleis Thelen, der mit bitterem Sarkasmus seine Flucht von der Insel Mallorca beschreibt. Wie schon in dem Buch über die Februarkämpfe 1934 in Österreich, das Hackl vor zwei Jahren herausgegeben hat und das ähnlich wie dieses aufgebaut ist, überraschen viele Biografien der Autoren. Allein sie wären mitunter schon Stoff für Romane. Es sind mitunter einfache Arbeiter, die da schreiben, die es aufgrund der politischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts durch diverse Berufe und Länder der Welt treibt.

So wie Hackls „Im Kältefieber“ über 1934 kann aber auch dieser Band Auskunft über die dramatische Zeit eines erbitterten Kampfes geben. Die Informationen aus unterschiedlichen Blickwinkeln fügen sich kaleidoskopartig aneinander, ergänzen sich zu einem Eindruck des Geschehens, das dem durchschnittlichen Europäer kaum geläufig ist. Zum Schluss widmet Hackl ein Kapitel der ernüchternden „Frage nach der Vergeblichkeit“. Theodor Balk schreibt dazu: „Umsonst all diese Vormärsche und Rückzüge, diese Siege und Niederlagen, umsonst alle diese Ortsnamen, von denen jeder auf Hunderten von Grabtafeln wiederkehrt?“

Zahlreiche Erkenntnisse ermöglichen die Erzählungen und Romanauszüge: Sie berichten von der Begeisterung, mit der die Menschen, die auf republikanischer Seite gekämpft haben, von einer neuen, besseren und gerechteren Welt geträumt haben und für sie eingetreten sind. Doch verstand fast jeder etwas anderes darunter. Denn seit je ist die Linke fragmentiert; speziell die Kommunisten, straff gelenkt von Stalin aus der fernen Sowjetunion, haben bald ein eigenes Spiel begonnen. Das beweist der „Krieg im Krieg“, die kommunistische Erstürmung der Telefonzentrale im von den Republikanern gehaltenen Barcelona im Jahr 1937. Hackl widmet dieser Episode ein ganzes Kapitel.

Auch am Brandherd Spanien wollte sich Europa nicht verbrennen: Mit einer Nichtinterventionsvereinbarung ebneten die Staaten der weiteren Ausbreitung des Faschismus und Nationalsozialismus den Weg. Wie später beim Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland widersetzte sich nur Mexiko deutlich dieser Politik des Zusehens. Spanien war in jenen Tagen noch feudalistisch geprägt, Demokratie und Republik steckten, wie in anderen Ländern Europas, in den Kinderschuhen. Ein geeignetes Szenario für jene, die „Ordnung schaffen“ wollen. Noch heute ist der Bürgerkrieg in Spanien ein nicht aufgearbeitetes Tabuthema, ähnlich wie in Österreich. Aber weniger wie hierzulande aus Desinteresse denn als Ergebnis der erst 1975 zu Ende gegangenen Franco-Diktatur.

Die einzelnen Berichte ermöglichen zwar ein Lesen in Etappen und Happen, doch wie bei dem Buch über die Februarkämpfe haftet einer solchen Präsentation einer historischen Epoche auch eine Schwierigkeit an: Im Lauf der 46 Geschichten besteht die Gefahr, sie nicht mehr auseinanderhalten zu können, Autoren und deren Biografien zu verwechseln. Es ist eben kein geschlossener Roman, sondern eine Sammlung von knapp vier Dutzend literarischen Texten, die zudem völlig unterschiedlich entstanden sind: als Roman, als Tagebuch, als Tatsachenbericht, unmittelbar oder Jahrzehnte später.

Dennoch ist Erich Hackl das Verdienst hoch anzurechnen, all die Texte zusammengetragen und in einen chronologischen Verlauf der Ereignisse eingeordnet zu haben. Der Spanische Bürgerkrieg, ein Stück Geschichte unserer europäischen Heimat, geht einem nahe und lässt dadurch eine erschütternde Aktualität erkennen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2016)

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