Aufpassen, dass der Körper das Richtige macht

Shida Bazyar, Deutsch-Iranerin, erzählt in ihrem Generationenroman vom Ankommen, von der Integration und den Konflikten der Kinder zwischen den Kulturen.

Drei kommunistische Freunde revoltieren im Iran gegen den Schah. Tatsächlich wird der Vertreter des Feindbilds USA gestürzt. „Wie es nach der Revolution weitergeht, habe ich noch niemanden laut fragen hören“, heißt es in Shida Bazyars Debütroman „Nachts ist es leise in Teheran“. Die Hoffnung, dass eine Zusammenarbeit mit den Ayatollahs gelingen könnte, weicht der Erkenntnis, dass die religiöse Bewegung nicht nur eine Phase bleiben wird, sondern die Macht vollständig übernehmen will. Schließlich gibt einer der Freunde den Kampf auf, einer kommt ins Gefängnis. Behsad, der inzwischen eine Mitstreiterin geheiratet hat, begreift, dass es im Iran keinen Ort mehr für ihn gibt, und die beiden entkommen knapp nach Deutschland. Dort wird Nahid von der Revolutionärin zur Hausfrau und Mutter dreier Kinder.

Die junge, am Literaturinstitut Hildesheim ausgebildete Autorin lässt ihre Figur Nahid die Rolle einer sehnsüchtigen Exilantin und Kritikerin der selbstbezogenen, doch wohlmeinenden Deutschen einnehmen, mit denen die Iranerin nicht warm wird. Nahid hält ihre Kinder dazu an, die persische Sprache und Kultur nicht zu verlieren, sie sollen sich nicht völlig integrieren. Die Töchter und der Sohn wissen aber, dass sie nur bestehen, wenn sie in die Sprache und Verhaltensweisen des Gastlands eintauchen. Oft nehmen sie sogar die Rolle der Erwachsenen ein, begleiten diese auf Behörden und zu Elternsprechtagen, um zu übersetzen, schämen sich, wenn die Eltern sie spüren lassen, dass sie „andere“ sind, wollen aber zugleich derenWerten und Einstellungen gegenüber loyal bleiben. Einziger Trost für Nahid ist eine Happy-End-Version der Revolution, in die sie sich zuweilen träumt und die für sie die einzige würdige Existenzform darstellt.

Bazyar zeigt in ihrem Generationenroman Perspektiven des Ankommens, verschiedene Stadien von Integration und die Konflikte von Kindern zwischen den Kulturen, indem sie jedes Familienmitglied ein Kapitel lang zu Wort kommen lässt, dabei den Bogen von 1979 bis in die Zukunft spannt. Diese Struktur erweist sich jedoch als Bürde, weil nicht alle Figuren gleich stark gearbeitet sind. Der Teenager erzählt von einer Reise in den Iran, den er als Kleinkind verlassen musste. Motivisch dicht und spannend erscheint diese Stimme am unmittelbarsten, was vermuten lässt, dass die Autorin selbst hinter ihr steht. Die existenzielle Verunsicherung der Flucht prägte Lalehs Kindheit, und so erlebt sie die erneute Begegnung mit Verwandten, Gerüchen, Speisen in Teheran als wunderbares „Getragenwerden“, fühlt sich aufgenommen in der Großfamilie, die die Besucherinnen mit allen Annehmlichkeiten versorgen: „Nichts anderes sollte ich tun, denke ich, als hier zu sitzen und mich an ein Teppichkissen zu lehnen, inmitten von lauten Menschen und lauter Musik.“

So geborgen sie sich jedoch in der Familie fühlt, so problematisch erscheint die Außenwelt im religiös regierten Land. Hinter den schönen Fassaden ist flüsternd die Rede von den wahren, den grausigen Lebensumständen. Obwohl Laleh Kopftuch und Mantel trägt, ist die Differenz an ihrem Körper ablesbar: „Immer muss man achtgeben, dass der eigene Körper das Richtige macht.“ Frauen müssen mit systematischer Benachteiligung, ihrer Verdrängung aus dem öffentlichen Raum, täglichen sexuellen Übergriffen in einer religiös-patriarchalen Gesellschaft zurechtkommen.

Gegenüber der Vielschichtigkeit von Lalehs Wahrnehmungen gerät die Perspektive des Bruders Morad ziemlich oberflächlich. Die Absicht der Autorin, eine Verbindung zwischen dem pseudopolitisierten Morad und der iranischen Protestbewegung aufzubauen, bleibt eher unglaubwürdig. Auch der Epilog, in dem die Tochter Tara auftritt und der in einen utopischen Ausblick auf einen befreiten Iran mündet, ist verzichtbar.

An die Intensität der Protagonistin Laleh kommt keines der anderen Kapitel heran. Nur da wird deutlich, was die Autorin kann, ihr Einfühlungsvermögen, ihre Beobachtungsgabe und ihre sprachlichen Mittel, den Leser ins Geschehen zu ziehen. Hoffentlich lässt sie sich im nächsten Buch nicht mehr von einer didaktischen Struktur verleiten. ■

Shida Bazyar

Nachts ist es leise in Teheran

Roman. 288 S., geb., € 20,60 (Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2016)

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