Die Sucht nach Abenteuern

Evelyn Schlags Motivforschung bei einem Expatriate-Arzt.

Im Roman „Yemen Café“ stellt Evelyn Schlag einige unangenehme Fragen, etwa jene nach Motivation, Intention und Wirkung der internationalen Arbeit humanitärer Organisationen. Dass dieses Engagement vor Ort oft auf Misstrauen stößt, hat nicht immer nur mit interkulturellen Verständigungsproblemen zu tun, wie die Geschichte rund um den österreichischen Chirurgen Jonathan Schmidt zeigt. Bei der Entbindungsstation in Äthiopien, wo er einst mit seiner Freundin Delphine gearbeitet hat, scheint die Frage der Moral noch unstrittig. Dort aber wurde es ihm beruflich bald zu langweilig. Es folgten einige Jahre an deutschen Kliniken, dann nahm Jonathan ein Angebot im Jemen an.

Hier arbeitet er in der Hauptstadt,Sanaa, an einem von der Schweiz betriebenen Krankenhaus aufseiten des korrupten Systems, denn die Patienten sind Angehörige der Oberschicht und des Politestablishments. Dass mitunter einfache Opfer von Anschlägen behandelt werden, reicht zur Rechtfertigung ebenso wenig wie Jonathans Berufung auf den hippokratischen Eid. Er selbst hat eigentlich kein schlechtes Gewissen – das machen ihm zuerst seine ehemalige Geliebte Delphine via E-Mail, dann die junge Katie, Mitarbeiterin von Human Rights Watch. Mit ihr verbindet ihn eine Amour fou, die von Katies Seite an der Moralfrage noch scheitern könnte. So bleibt ungewiss, ob die beiden das Yemen Café je gemeinsam betreten werden; es liegt in Brooklyn und ist eine Art Sehnsuchtsort für eine Wiederbegegnung auf sicherem Boden.

Was Evelyn Schlag gelingt, ist ein dichtes Bild des schwierigen Alltags in dem zerrütteten Land. Der Bürgerkrieg gegen die schiitischen Huthi-Rebellen, unterstützt von US-amerikanischen Drohnenangriffen, Korruption, Verhaftungen, Folter und Terroranschlägen sorgen für ein Klima aus Angst, Unsicherheit, Misstrauen, und wie die Infrastrukturprobleme macht diese Stimmung vor der Klinik in Schweizer Verwaltung nicht halt.

Unterwegs nur mit Chauffeur

Die Autorin täuscht nicht vor, dass Jonathan von den politischen Hintergründen mehr wüsste, als in internationalen Zeitungen zu lesen ist. Schließlich versteht er die Sprache nicht, kann die Hauptstadt kaum verlassen und auch vor Ort bewegt er sich in den engen Bahnen einigermaßen sicherer Orte für Ausländer. Vor einer zu direkten Begegnung mit dem Alltag schützt ihn zudem sein ständiger Chauffeur, Ali. Die Jemeniten freilich zwingt die Situation, Stellung zu beziehen. Einige radikalisieren sich, andere versuchen, sich herauszuhalten, was kaum gelingen kann.

In einige der jemenitischen Schicksale lässt uns die Autorin direkt hineinblicken. Das ist gut so, denn Jonathan ist ein unzuverlässiger Beobachter und an politischen Fragen nur mäßig interessiert. Ihn beschäftigen vor allem Frauengeschichten. Er, der sich selbst einmal als „Seelentölpel“ bezeichnet, leidet offensichtlich an der Midlife-Crises ebenso wie an Bindungsängsten. „Was war das mit den Frauen bei ihm?“, fragt er sich einmal underhält keine erhellende Antwort.

Er habe „ein großartiges Talent für Unvereinbarkeiten“, sagt ihm ein flüchtiger Bekannter, dem Jonathan seine Liebesverwicklungen andeutet. „Das ist bei fast allen Expats so. Da gibt es selten glückliche Verbindungen“, antwortet Jonathan – und spricht damit eine weitere problematische Dimension des internationalen Hilfsorganisationen-Jetsets an: Abenteuerlust, Bindungsunfähigkeit und Sehnsucht nach Abwechslung sind nicht die unwesentlichsten Beweggründe für Akteure wie Jonathan. ■

Evelyn Schlag

Yemen Café

Roman. 366 S., geb., € 24,70 (Zsolnay Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2016)

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