Reisen muss verwandeln

Evelyn Grills Briefroman „Immer denk ich deinen Namen“ führt die Themen Liebe und Sprache ohne Kitsch, mit literarischem Feingefühl zusammen.

Evelyn Grill hat einen Liebesroman geschrieben. Das ist für eine Autorin, der man einen sachlich-kühlen Blick auf ihre Figuren und einen Sinn für hintergründig bösen Humor nachsagt, überraschend. Waren es bisher die bedrückende Situation von Frauen in der Gesellschaft oder gesellschaftliche Phänomene wie der Schönheitswahn oder das Vermüllungssyndrom, die die Autorin mit ihrem unbestechlich genauen Blick unter die Lupe genommenhat, so erzählt sie nun von der langsamen Annäherung zweier Liebender.

„Immer denk ich deinen Namen“ heißt ihr Roman, doch vom Titel darf man sich genauso wenig wie vom Cover abschrecken lassen. Was Evelyn Grill zwischen den Buchdeckeln erzählt, ist so kunstvoll arrangiert und so überaus fein in Sprache umgesetzt, dass es über jeglichen Kitschverdacht erhaben ist. Ausgangspunkt der Liebesgeschichte ist die zufällige Begegnung von Adrian und Vera. Er ein erfolgreicher Literaturwissenschaftler, der in einem deutschen Literaturarchiv angestellt ist, sie offiziell Hausfrau, insgeheim aber Schriftstellerin und Jusstudentin in einer österreichischen Stadt.

Während er sich als Vater dreier Kinder und Ehemann einer schwerkranken Frau vor der Pflegebedürftigkeit seiner Frau, den schwierigen Charakteren seiner Söhne und der Besuchspflicht seiner dementen Mutter in seine Arbeit flüchtet, spielt sie als Mutter zweier schulpflichtiger Kinder vor den gestrengen Augen des patriarchalischen Ehemanns die perfekte Ehefrau. Beide Familien geben das Modell für das Nichtgelingen von Liebe ab, vor dem die Leidenschaft zwischen Vera und Adrian erst zur Geltung kommt. Die Begegnung der beiden findet zur Zeit desKalten Krieges auf einer Stifter-Reise nach Prag statt. Vera fällt Adrian durch ihre radikale Stifter-Kritik und ihre zynische Definition von Ehe als menschlichem Irrtum auf. Sie ist wiederum von seinen eloquenten Ausführungen über Literatur und dem reichen Schatz an Gedichten, die er auswendig vorträgt, beeindruckt. Bleibt die Reise auch ohne konkrete Annäherung, so entspinnt sichzwischen den beiden schon bald ein reger Briefwechsel, der über ihre tiefe gegenseitige Liebe keinen Zweifel mehr lässt.

Es handelt sich also um eine Art Briefroman. Auch das klingt einigermaßen altmodisch: eine Liebe, die sich in Form von Briefen entfaltet. Evelyn Grill versteht dieses aus der Mode gekommene intime Kommunikationsmedium allerdings so effektiv einzusetzen, dass daraus ein Lektüreerlebnis wird. Die Lebenswelten, die abwechselnd dargestellt werden, schieben sich durch den Briefwechsel immer weiter ineinander, bis sie vor dem ersten Wiedersehen der Liebenden miteinander verschmolzen scheinen.

Einmal lernen wir Adrians kleinteiligen Arbeitsalltag und sein größer werdendes Schuldgefühl gegenüber seiner krebskranken Frau kennen, dann erleben wir Veras Ausweichmanöver und Geheimhaltungen vor ihrem Mann, vor dessen Tyrannei sie sich und ihre Kinder schützen muss. Wir erfahren von der Schreibabsicht des einen, bekommen den realisierten Brief aber durch den Filter des anderen zu lesen.

Überhaupt ist der Umgang mit Erzählperspektiven in Grill'scher Manier ein Vergnügen: Wie sich die Eindrücke mit den sehnsuchtsvollen Erinnerungen, die Briefworte mit den eigenen Reaktionen, die eigenen Worte mit schonungsloser Selbstanalyse vermengen – das sind innere Monologe, die in ihrer Verdichtung unermessliche Tiefen erahnen lassen. In ihren Briefen übendie Liebenden ein „inniges Hindenken“: EinBegriff, den die Protagonistin mit sprachlichem Feingefühl erörtert, sodass man auf ein zweites großes Thema des Romans gestoßen wird, jenes der Wirkmächtigkeit der Sprache.

Die Kombination dieser beiden Themen, Liebe und Sprache, ist nicht zufällig, haben doch im Lauf der Jahrhunderte, angedeutet mit Zitaten von Rilke bis Weinheber, die Intensität des Gefühls und der Wunsch, diesem einen passenden Ausdruck zu verleihen, die Mittel der sprachlichen Ausdruckskraft immens zu schärfen vermocht. „Reisen muss verwandeln“, heißt es in Grills neuem Roman; aus der Lektüre dieses Buchs geht man jedenfalls verändert hervor. ■


Am 25. Oktober, 19.30 Uhr, stellt die Autorin im Linzer Stifterhaus ihr Buch vor.

Evelyn Grill

Immer denk ich deinen Namen

Roman. 144 S., geb., € 17,90 (Haymon Verlag, Innsbruck)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2016)

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