Der Vergolder

Immer schon hat sich Christoph Ransmayr für das Extreme, Ferne und Heroische interessiert. Auch was die Sprache betrifft, geht's ihm ums Ungewöhnliche und Besondere. Beim Roman „Cox oder Der Lauf der Zeit“ gesteht der Rezensent eine gewisse Ratlosigkeit, bei der er gern geblieben wäre.

Wir haben Christoph Ransmayrmit guten Gründen immer zu den drei großen lebenden Autoren der österreichischen Literatur gezählt: Neben Elfriede Jelineks blitzender Geistesgegenwart (oder auch blitzendem Gegenwartsgeist) und Peter Handkes Bergwerksarbeit und Fähigkeit, immer wieder die Welt im Detail zu entdecken, war Ransmayr derjenige, der uns mit vielfältigen Mitteln über das Vorhandene hinaus in bis dahin fremde Welten führte, denen er ihre Fremdheit durchaus beließ unddie den Menschen herausforderte, sich selbst und seine Verlorenheit wahrzunehmen. Alle drei sind philosophische Naturen der unterschiedlichsten Art, wobei die beiden Herren zudem eine ausgeprägte Neigung zum Pathos haben; was bei dem großen Stilisten Handke aber immer Antrieb der Erkenntnis bleibt, hatte bei Ransmayr immer schon eine Tendenz zum Dekor. In diesem Buch freilich zum Kunsthandwerk.

Und um Kunsthandwerk geht es in diesem Buch ausdrücklich. Wir befinden uns – die historische Fixierung ist bisweilen etwas unscharf, wohl absichtlich – im 18. Jahrhundert. Der berühmte englische Uhrmacher und Mechaniker Alister Cox hat eine Einladung von Qiánlóng erhalten, dem Kaiser von China, er möge in die Verbotene Stadt kommen, um dort für ihn zu arbeiten. Das trifft den Engländer in einer tragischen Lebenssituation: Seine geliebte fünfjährige Tochter Abigail ist gestorben, und seine ebenso geliebte Ehefrau Faye erträgt seine Nähe nicht mehr. Was für Cox & Co. geschäftlich eine Gelegenheit ist, die man nicht ausschlagen kann, erkennt der Trauernde als Chance, durch vorübergehende Abwesenheit die Liebe seiner Frau neu zu beleben. Er belädt ein Schiff mit den berühmten Uhren und Kunstwerken seiner Firma und macht sich mit seinem Kollegen Jacob Merlin (sic!) und zwei weiteren Gehilfen (vulgo Mitarbeitern) auf den gefährlichen Weg nach China.

„Als die Flotte Beijing an einem eiskalten,wolkenlosen Tag Ende November erreichte, glitzerten die entlaubten Bäume am Weg von der mit goldgelbem Brokat ausgelegten Mole ins Innere der größten Stadt der Welt unter Reifpelzen.“ Dort, in der Verbotenen Stadt, betreten die Reisenden eine Welt der Pracht, des Prunks und der Zeremonie, die der Autor mit einer unverkennbaren Lust am Schmücken, Ausschmücken und Ausmalen mit einem Reichtum von Farb-, Glanz- und Gloriavokabeln vor uns aufbaut, die – sozusagen naturgemäß – gelegentlich unterbrochen werden von drastischen Schilderungen von Folter und aparten Exekutionen, mit denen das Gewaltsystem dieses Landes zum Einhalten von Vorschriften, Pflichten und Gesetzen zwingt. Was – wie der Umschlag desBuches – blutrot ist, kann ebenso auf Purpur verweisen wie auf abgeschnittene Nasen oder ausgestochene Augen. Gold und Saphire finden sich hier ebenso wie Blut und Eiter; Liebeund Tiefsinn stehen neben Bedenkenlosigkeit und Vergessen.

Ransmayr entwirft eine Welt der Gegensätze nach dem Schema der Gleichzeitigkeit von Glück und Unglück, Elend und Unsterblichkeit, Feuerwerk und Tod und koloriert sie drastisch und prunkend zugleich. Diese systematisierte Welt, erzählerisch scheinbar gerechtfertigt durch die Zeremonien des Kaiserreichs, lassen wenig Raum für Entwicklungen und Zwischentöne, Unschärfen der Psyche und Ungewissheiten des Lebensverlaufs und ermüden den Leser bereits nach wenigen Seiten. Ungeachtet des Aufwands an Gold und blutrotem Purpur bleiben die Farben des Buches Schwarz und Weiß.

Es zeigt sich, dass Ransmayr in diesem Buch ein Krösus ist, dass alles, was er erzählt,zu Gold wird, das niemanden satt macht. Mit preziöser Sprache wird nicht nur von Preziosen erzählt, entgegen den aus teuerstenSteinen gebauten Wunderapparaturen aus Cox' Werkstatt arbeitet die Mechanik des Romans eher unkompliziert. Gelegentlich wird auch mit Dingen verglichen, die erst die Fantasie des Autors gesehen hat: „Das eine war vielleicht ein weißer, von silbernen Rutilnadeln schraffierter Topas, das andere ein ungeschliffener Diamant, der wie ein in Weißgold gefaßtes Zuckerstück schimmerte.“

Bisweilen liest sich das Ganze, als wäre von einer puccinihaften Oper nur das Libretto überliefert. Die Sprache wirkt erstarrt wie das Ritual am kaiserlichen Hof, ja, als habe sich der Autor zum Zeremonienmeister degradiert. Die Wörter und Sätze, wie von Cox selber in Silber und Gold geschnitten, gefeilt und auf Glanz gebracht, zeigen den Ehrgeiz, wie die kunstvollen Uhrwerke des Meisters die Zeit beim Vergehen wenn schon nicht einzufangen, dann doch zu begleiten.

Ja, die Zeit; sie wird mit dem letzten Auftrag des ungeduldig die Fertigstellung der das Thema Zeit vorführenden Kunstuhren nicht abwartenden Kaisers zur Extremforderung: „Der Herrscher der zehntausend Jahre“ will eine Uhr, die die Ewigkeit misst, und Cox erinnert sich an seine Versuche, das Perpetuum mobile zu bauen. Dabei verbindet sich in Cox' Kopf (nicht in seinem Herzen) die Liebe zur unvergesslichen Tochter und der Ehefrau mit der Begegnung mit An, der ersten Geliebten des Kaisers, die ihn zufällig bei der Einfahrt auf dem großen Kanal auf einer vorüberziehenden Dschunke ihre (für China ungewöhnlichen) grünen Augen und ihre zarte Hand sehen ließ und in ihm die Fantasie weckte, dass diese Kindfrau sein Kind und seine Frau in einem verkörpere.

Die Überlegungen zur vergehenden Zeit und der die Zeit überwindenden Liebe, in denen das Herz des Romans sichtbar werden sollte, bleiben hier ein wenig undeutlich. Zeit, Liebe, Macht und Können, allesamt ewige Themen der Literatur, werden in einer künstlichen Mechanik verbaut, die vom Impuls des Lebens kaum erreicht wird.

Immer schon hat sich Christoph Ransmayr für das Große, Extreme, Ferne und Heroische interessiert. Er ist Bergsteiger, nicht Straßengeher. Die kleinen Ereignisse des ordinären Alltags zeigen ihm nicht das, was das Ungewöhnliche und Besondere vom Menschen aussagt. Dazu passt es, um nicht zu sagen: gehört es sich, dass er Pathetiker ist, auch was die Sprache und das Erzählen betrifft. Das Einzigartige, Ungewöhnliche, das man in der Historie eher findet als in der scheinbar vertrauten Gegenwart, will das es auszeichnende Besondere nicht nur als Thema, sondern auch als Gewand vorführen. Dem Kern der Sache kommt man damit nicht unbedingt näher.

Der Rezensent hat sich entschieden und die Kollision der Einschätzung dieses Textes mit der Wertschätzung des Autors für sich in Kauf genommen: Dieser Roman scheitert an dem Ehrgeiz, ein Meisterwerk zu schaffen. Aber er ist in seiner Mischung aus Abenteuer-und historischem Roman mit den für diese Gattung typischen essayistischen Anmutungen – wenn man sich nicht an dem, was hier moniert wurde, stört – auch eine spannende, unterhaltende Erfindung. Ob er im Gesamtwerk von Christoph Ransmayr eine bedeutende Rolle spielen wird, darf bezweifelt werden. Es wird sich erweisen. ■

Christoph Ransmayr

Cox oder Der Lauf der Zeit

Roman. 304 S., geb., € 22,70 (S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2016)

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