Über Nehmer und Geber

Sprachregelungen spiegeln die Werthaltungen, auf die sich eine Gesellschaft verständigt. Die sind in vielem überaus bedenklich und damit bedenkenswert. „Macht macht Sprache – Sprache schafft Wirklichkeit“. Elisabeth Schrattenholzer nähert sich dem Thema analytisch und leidenschaftlich.

Schon die Schreibweise des Titels „MACHT macht SPRACHE – SPRACHE schafft WIRKLICHKEIT“ lässt vermuten, dass die Einlösung des Untertitels, ein „Fundemant ohne Fundamentalismus“ zu schaffen, nicht ganz einfach ist. Wer Sprache liebt und berufsbedingt mit ihr arbeitet – wie Elisabeth Schrattenholzer als Schriftstellerin und Kommunikationstrainerin –, nähert sich dem Thema zwangsweise mit Engagement und Leidenschaft.

„Was macht Sprache, Sprachgebrauch und – im günstigsten Fall – Menschen immun gegen den Missbrauch durch Diktatur? Wie müssen Wörter und Begriffe beschaffen sein, damit sie eine Basis für Verständigung bieten und absolut kein Fundament für Fundamentalismus?“ Es ist keine ganz leichte Lektüre, auch weil die Anekdoten, Fallbeispiele und Wiederaufnahmen mitunter die zugrunde liegende Struktur zu überwuchern drohen. In den besten Abschnitten zeigt die Autorin anschaulich auf, wie die neuronalen Verschaltungen individuell wie kollektiv den Wörtern, Begriffen und Redewendungen unbewusste oder vorbewusste Konnotationen und Interpretationen hinzufügen.

Ein Untersuchungsfeld ist dabei die Sprache im Nationalsozialismus – wie das Victor Klemperer mit seinem 1947 erschienenen „LTI. Notizbuch eines Philologen“ begonnen hat. In den Blick kommen aber auch Sprachstrategien von Religionsgemeinschaften, überraschenderweise untersucht anhand einer päpstlichen Enzyklika Joseph Ratzingers. Alltagspraktischer sind Fragen nach den Implikationen scheinbar harmloser und meist gedankenlos verwendeter Wörter wie „natürlich“ oder „Meinung“. Vor allem aber geht es der Autorin angesichts der aktuellen Debatten über eine gendergerechte Sprachregelung um alle Formen asymmetrischen und exkludierenden Sprachgebrauchs.

Eingebaut sind immer wieder in diesem Sinn kritische Lektüren von Sprachzeugnissen aus dem kulturellen Erbe, von den griechischen Mythen über die Theaterklassiker bis zu Oper und Liedgut. Viele dieser kurzen Analysen sind einlässig und anregend, manchen Kunstwerken werden sie vielleicht nicht ganz gerecht. Die „Zauberflöte“ etwa verliert nur unter dem Genderaspekt gelesen ihre eigentliche Qualität als Oper über die Wiener Aufklärung im Freimaurer-Ambiente.

Prinzipiell sind gerade für das Verhältnis der Geschlechter Zeugnisse der Hochkultur heute kaum mehr in dem Ausmaß rollenprägend wie einst. Auch diese Funktion ist in die sozialen Netzwerke abgewandert, und, so ist zu befürchten, einer Egalisierung im Verhältnis der Geschlechter steht die omnipräsente Pornografisierung in den neuen Medienkanälen, die den Frauenkörper final und gesamtgesellschaftlich der Warenästhetik unterwirft, vielleicht radikaler entgegen als das generische Maskulinum.

Unbestritten aber ist die Frage nach der fehlenden Realitätsdeckung der Sprache eine zentrale, denn sie impliziert auch ein Demokratieproblem. Wovon reden wir, wenn wir gedankenlos von Zivilgesellschaft oder NGOs reden? Beides sind Hohlwörter, wenn sie nicht in einem gesellschaftspolitischen Konzept geerdet sind. Das ist erst mit dem Auftreten von Pegida deutlich geworden, eine klassische Inkarnation der Zivilgesellschaft, die es eben, genau wie NGOs, in jedem politischen Lager gibt oder doch geben kann.

Nicht weniger problematisch sind die in den sozialen Diskurs immigrierten Euphemismen: das Kompetenzzentrum für Asylwerbende oder das Arbeitsmarktservice – angesichts der wachsenden Drop-out-Quote unserer Gesellschaft. Und natürlich hat die Autorin recht, dass es eine geschlechtssemantische Grundierung hat, wenn in der politischen Ökonomie „der Vorgang der Geburt“ zu den reproduktiven Tätigkeiten zählt. Nicht weniger einschneidend ist hier freilich die gesellschaftspolitische Grundsatzentscheidung, jene, die ihre Arbeit jemandem zur Verfügung stellen, also geben, „Arbeitnehmer“ zu nennen, und jene, die diese Arbeit nehmen, Arbeitgeber.

Ein spannender Begriff hätte „Quotenregelung“ sein können. Sind auf EU-Ebene Posten zu vergeben, müssen nationale Kompromisse ausverhandelt werden. Geht es um Frauen, heißen Interessenausgleich, Konsens und Kompromiss Quotenregelung. Das akzentuiert das Zwanghafte – und es unterstellt, dass damit Frauen zum Zug kommen, egal, ob sie die qualifiziertesten Bewerber sind, was weiter unterstellt, dass alle durch die verschiedenen Formen des Interessenausgleichs in ein Amt gelangten Herren stets die bestmögliche Wahl waren und nie Kompromisskandidaten.

Ist in Diktaturen das Interesse an verschleiernden oder irreführenden Sprachregelungen erkennbar – die Nationalsozialisten installierten nicht zufällig ein Propagandaministerium –, sind für die Hohl- und Medienworte unserer Tage die Verursacher schwer auszumachen, und auch die Nutznießer nicht immer. Gefährlicher als Unwörter wie „Negativzinsen“, die noch einigermaßen erkennbar sind, sind solche, die falsche Erklärungsmuster für gesellschaftliche Phänomene anbieten. So wird das Wort „Parallelgesellschaft“ heute ethnisch definiert. Das lässt vergessen, dass unser Gesellschaft immer schon aus einander nicht berührenden (Lebens-)Milieus bestanden hat. Hätten sich die böhmischen Ziegelarbeiter vom Laaerberg oder die Dienstmädchen nicht mit ihrer Parallelgesellschaft abgefunden und wären in die Innenstadt marschiert, um im Café Griensteidl zu frühstücken, hätte es eine Revolution gegeben.

Wie sehr sprachliche Umdeutungen Gesellschaften verändern können, zeigt auch der Begriff „netzwerken“. Was früher unter dem Schlagwort VitaminB als ein ungerechtfertigtes Ausnutzen von Beziehungen und Protektion als bedenklich angesehen wurde, gilt heute als chic. Käuflichkeit ist das notwendige Pendant der gesellschaftlichen Forderung an den Einzelnen, sich gut zu verkaufen. Die Autorin hat recht: Sprachregelungen spiegeln die Werthaltungen wider, auf die sich eine Gesellschaft verständigt, und diese sind aktuell in vielem überaus bedenklich und damit bedenkenswert. ■

Elisabeth Schrattenholzer

MACHT macht SPRACHE – SPRACHE schafft WIRKLICHKEIT

Für ein Fundament ohne Fundamentalismus. 224 S., brosch., € 29,90 (LIT
Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2016)

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