Strauchelnde, Staunende, Suchende

„Die Paradiesmaschine“: Lydia Mischkulnigs erzählerisches Panoptikum des Lebens ist zugleich schräg und vertraut.

Was passiert, wenn eine unserer sprachgewaltigen Schriftstellerinnen vordergründig Banalesin einem Kaleidoskop schüttelt, die Bilder schleift, seziert, was ein malträtiertes Herz uns lehren kann? Lydia Mischkulnig hat diese Aufgabe übernommen, die kurze literarische Form dafür gewählt und uns einen witzigen und schmerzhaft treffsicheren Erzählband geschenkt.

Es geht um Teilzeitmütter und Seitensprung-willige Männer auf der Suche nach einer Nixe. Es geht um ein Verkaufsgespräch und die verführerische Exotik des Toten Meeres; es geht um Ehefotos, um Erinnerungen, Scheinheiligkeit und im Nirgendwo platzierte Hydranten; selbst ein Wunder könnte passiert sein. Einmal geht es um Adam, der den Heiratsmarkt erkundet. Einmal bindet sie uns einen Bären auf die Nase, der es in sich hat; politisches Welttheater, mögliche Religionsgründung und brütende Sarkophage inkludiert.

Menschen werden nicht vorgeführt, sondern über eine kurze Strecke Wegs begleitet. Sie lassen uns in ihre Köpfe, sie erweisen sich als Spiegelbilder, als Strauchelnde, Staunende, bitterbös Manipulierende, als Suchende und Denkende. Das zeigt sich stilistisch in der subtilen Sprache, in den geschliffenen Sätzen, der brillanten Art, Distanz gar nicht erst zuzulassen, der Doppelbödigkeit – und wie Mischkulnig mit Bedeutungen und Wortkombinationen spielt. Sie spricht die Leser direkt an, zieht sie flott ins Gespräch, in die schmalen Gruselkabinette ihrer Helden. Manchmal ist eine Geschichte nur zwei Seiten lang, manchmal, wie die titelgebende „Paradiesmaschine“, 30. Nie ist ein Wort zu viel, eines zu wenig, und doch möchte man mehr, mehr von allem, mehr von diesen lustvoll witzigen Beschreibungen, die der Wahrheit so klug nahekommen. Wunderbare Bonmots und Aphorismen sonder Zahl lauern in den Geschichten. Anekdotenhaftes kommt schräg und trotzdemvertraut daher.

Immer geht es um Beziehungen, um fehlende Geflechte, um offene Wünsche, um verzweifelte Abrechnungen, um sarkastische Analysen und die verloren gegangene rosa Brille, die ein Durchhalten erleichtern würde. Es geht aber auch um so wunderbare Details wie die „Erotik der Silos“, „letzte Würstchen“, den „ersten Hahnschrei“ eines Hahnreis, eine „pagenköpfige Pensionistin“, „Ministerpräsidentenfaschiertes“, „bindestrichgroße Eier“, „belebte Augenausschnitte“ in Venedig und Carlos Engagement für diese Stadt. Es geht um so viele farbige Facetten des Lebens, dass es eine Freude ist, die Geschichten wieder zu lesen, sich in einem Bild zu verhaken, zu warten, bis eigene Erinnerungen auftauchen und Mischkulnigs Panoptikum durchdringen.

Das letzte Kapitel ist nicht die Essenz einer Geschichte, sondern ein Bericht aus Venedig. Die Schriftstellerin ist dort, um zu schreiben, und die Stadt soll ihr Hintergrund und Vexierbild sein. Sie beobachtet, sie lernt Menschen kennen, sie darf sich Biografien und Anschauungen nähern. Es ist spannend, nach den erfundenen Geschichten eine subjektive Bestandsaufnahme begleiten zu dürfen. Der Ton ändert sich ein wenig, die Erzählerin nimmt sich zurück, stellt sich in den Dienst der berichtenden Wirte, Nachbarn, Bekannten. Was Mischkulnig hier berichtet, hat mit Journalismus zu tun; sie legt Zeugnis ab im Namen derer, die ihr berichten.

Trotzdem schürt sie Emotionen, wird Venedig zur verwundeten Stadt. Aufgrund dieser feinen Vignette könnte man überlegen, dass es ähnliche Aufzeichnungen gibt, die den opulenten Details in ihrer Prosa zugrunde liegen. Aber eigentlich möchte man das gar nicht, sondern lieber wieder in den manchmal haarsträubend komischen Szenen versinken, den Minidramen und tragischen Missverständnissen. Selten liest man sotraurige Geschichten und wird dabei so und auf diese Art zum Lachen gezwungen.

Lydia Mischkulnig hat in allen ihren Büchern bewiesen, dass sie eine Sprachkünstlerin ist, deren Poesie und ihr Talent zu irritieren sich nie auf Kosten der Spannung entfalten. Dieser Erzählband bestätigt das. ■

Lydia Mischkulnig

Die Paradiesmaschine

Erzählungen. 196 S., geb., 19,90 (Haymon Verlag, Innsbruck)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2016)

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