Flaue Mägen, weiche Birnen

Colin Barretts tieftraurige Geschichten über die Lethargie irischen Kleinstadtlebens.

Meine Stadt liegt nirgends, wo Sie je gewesen sind, aber Siekennen die Sorte.“ Glanbeigh ist eines jener Kaffs, das keine richtige Stadt ist, aber auch kein abseitiges Dorf, mit einer Hundertschaft Pubs, einem Cineplex mit fünf Sälen und einem Industriegebiet. Hier lebt der junge Jimmy, dessen Wochenende wieder einmal ein „dreitägiges Abnutzungsfest“ war, eineVolldröhnung, die zu flauen Mägen und weichen Birnen führte: „Ich bin jung, und von uns Jungen gibt es hier nicht viele, aber ich übertreibe nicht, wenn ich sage, die Stadt gehört uns.“

Colin Barretts sieben Erzählungen in „Junge Wölfe“ („Young Skins“) gehen von Anfang an aufs Ganze und zielen mit literarischer Präzision darauf, das Bild einer jungen Generation zu zeichnen, die sich keinen besonderen Platz in der Gesellschaft erobert und nie erobern wird, sich in maulfaulen Liebschaften abkämpft, sich zu jeder Zeit mit Drogen und Alkohol trösten kann und ihrer Verletzlichkeit dann recht hilflos gegenübersteht. „Köder“ etwa erzählt von einem „Sommerabend vor tausend Jahren“, an dem der junge Matteen wieder vom Schmerz der Erinnerung an Sarah heimgesucht wird, „die jeden Mann befallen, der einmal eine blöde Trulle geliebt hat“. Doch es ist der Erzähler, sein Freund Teddy, der an diesem Abend von Sarah in eine besondere Falle gelockt werden wird.

Barrett vermag inmitten all der Rauheit zuweilen auch zartere Töne anzustimmen, bevor die Verzweiflung wieder zuschlägt. In „Der Mond“ scheint es nicht so schlecht zu laufen für die Liebe von Val und Martina, und doch wird sie über Nacht nach Galway verschwinden. „Kein Abschiedsfick für Val, nicht einmal eine Abschieds-SMS.“ Es ist unwahrscheinlich,dass Val auf seine sehnsüchtige SMS an sie je eine Antwort bekommen wird.

Das Gesicht zertrümmert

Die allertraurigste Geschichte dreht sich um den zerbrechlichen Bat, dem ein ortsbekannter Rowdy vor Jahren das Gesicht zertrümmerte. Seither ist er entstellt, er leidet an Dauerkopfschmerzen und schafftes nicht mehr, aus seinem Außenseiterleben zwischen Job an der Tankstelle und abendlichem Saufen herauszukommen. Als wieder einmal ein Versuch scheitert, Kontakt und Anerkennung im Pub zu finden, liest sich das so: „Bat senkt den Kopf, den die Haare wie ein Vorhang verhüllen, und überlässt die Menschen den Menschen.“

„Ruhig mit den Pferden“ hebt sich schon durch ihre Novellenlänge von den anderen Erzählungen ab. Die Charaktere bekommen Raum, es gibt Nebenfiguren, Haupt- und Nebenerzählstränge wie in einem kurzen Roman. Dympna und Arm heißen die örtlichen Drogendealer, die zusammen mit anderen das Marihuana von Dympnas ziemlich paranoiden Onkeln verkaufen. Als es heißt, Fannigan, einer ihrer Komplizen, habe bei einer Party eine von Dympnas minderjährigen Schwesternbegrapscht, ja möglicherweise vergewaltigt, verprügelt ihn der Exboxer. Dympna und Arm reicht die Abrechnung, doch sie haben nicht mit den Onkeln gerechnet, denen nur der Tod eine gerechte Vergeltung zu sein scheint. Wie in einem Tarantino-Film gerät die Situation völlig aus demRuder, und ein blutiges Drama nimmt seinen ungebremsten Lauf.

Es sind sieben starke Geschichten über die Lethargie des irischen Kleinstadtlebens, über kleine Fluchten und Gewaltausbrüche, über sinnlose Adrenalin-Kicks, die bei einem zweiten Lesen sogar noch gewinnen. Von diesem jungen Iren darf man noch sehr viel erwarten. ■

Colin Barrett

Junge Wölfe

Stories. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. 222 S., geb., € 20,60 (Steidl Verlag, Göttingen)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2017)

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