Immer sind die Eltern schuld

Der Schwarze aus dem Süden und das New Yorker It-Girl: Irene Dische über das ruinöse Leben zweier Verlorener.

Der Code lautet: „Du sollst deinen Therapeuten ehren.“ Der Code lautet: „Sei höflich zu denen, die finanziell über dir stehen.“ Der Code lautet: „Du sollst deine Erfolge und Vorzüge stets im Munde führen . . .“

Der Quasi-Dekalog der New Yorker Bourgeoisie ist strikt einzuhalten. Das begreift Duke Butler, der Schwarze aus den Südstaaten, schnell, als er eine Liaison mit der New Yorker Intellektuellen-Tochter Lili eingeht. Gewissermaßen nahtlos fügt er sich in sein neues Umfeld ein, zur großen Freude seiner Schwiegereltern in spe, die ihren eigenen Status mit dem „Exoten aus dem Süden“ aufpolieren. Schließlich ist man ja durch und durch aufgeschlossen und vorurteilsfrei. Das verlangt schon der gute Ton.

Duke legt eine glänzende Karriere als Weinexperte hin und wirft sich als wine patriot für die Weine Amerikas in die Bresche, die meisten europäischen findet er grässlich. Lili wird als Model entdeckt und avanciert bald zum It-Girl der New Yorker Szene. Im Vergleich zu dem Leben der beiden nehmen sich die von anderen aus wie ein „langer, langweiliger Dokumentarfilm, den man bis zum Ende anschauen muss“.

Was wie eine Erfolgsstory beginnt, liest sich jedoch bald schon wie das Psychogramm zweier verlorener Seelen. Das ständige Auf und Ab ihres zunehmend ruinöseren Lebens hinterlässt Spuren, lediglich ihre Liebe zueinander bleibt davon unberührt. Für lange Zeit zumindest.

Gut, dass es Therapeuten gibt!

Wie praktisch, dass es da die Therapeuten, die Seelenklempner, gibt, die ihren Klienten zwei- bis dreimal die Woche für rund 50 Dollar die Stunde mit mehr oder weniger viel Erfolg einreden, dass die Schuld stets woanders, also niemals bei sich selbst, zu suchen sei. Man vergibt sich – und beschuldigt andere, die Eltern vorzugsweise. Ihnen kann man so gut wie alles in die Schuhe schieben.

Dass Lili schwerer zu tragen hat als Duke, der aus armen Verhältnissen stammt, liegt auf der Hand, denn: „Eine Tragödie im Leben der Reichen und Berühmten ist es, dass sie nicht begreifen, wie sehr ihr gesellschaftlicher Rang ihre Kinder belastet. Die Armen wissen es . . .“ Die bittere Einsicht, dass Lili zwar die Schuld ihren Eltern gebe, in Wahrheit jedoch selber bös sei, kommt für Duke zu spät. Zu dem Zeitpunkt sitzt er schon in der Todeszelle eines Gefängnistraktes in den Südstaaten. Auch wenn er gedacht hat, Lili besser zu kennen als jeden anderen Menschen, hat er doch nie gewusst, „was sie als Nächstes tun würde“ – und sich schließlich verrechnet.

Ein Hauch von Woody Allen liegt über dem Ganzen, sprich dem New York der letzten drei Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts, das Irene Dische zum Schauplatz ihrer Handlung wählt. Ihr gelingt mit ihrem neuen Roman die scharfsinnige und brillant geschriebene Studie einer Gesellschaft, die an ihrer eigenen Oberflächlichkeit zugrunde zu gehen droht. „Schwarz und Weiß“ liest sich wie die Abrechnung mit einer Szene, in der Kunst nicht mehr ist als eine Feder, die man sich an den Hut steckt, um sich über den Rest der Welt zu erheben. Der inneren Leere versucht man durch äußere Getriebenheit zu entgehen und holt sich dafür dann die Bestätigung von Therapeuten ab, die wahrscheinlich am besten an der Misere verdienen, die ihre Opfer – zumeist die Schwächsten in der Rangordnung (siehe Duke) – fordert. ■

Irene Dische

Schwarz und Weiß

Roman. Aus dem Englischen von Elisabeth Plessen. 496 S., geb., € 26,80 (Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2017)

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