Das Glück des Augenblicks

Vom Ausbrechen aus dem Sozialverhalten in einem Dorf: Eva Lugbauers Frauenroman.

Dass der Verlag Eva Lugbauers "Und am Ende stehlen wir Zitronen" als "druckvollen" Debütroman bewirbt, macht zunächst stutzig, vor allem was das Sprachverständnis betrifft. Doch der Auftakt des Buches ist durchaus stark.

Ein Damenpolterabend der Dorfschönen, allesamt im Dirndl und allesamt furchtbar lustig beim Austeilen der selbst gebackenen Penisse, beim Besuch im Sexshop - und was an humorigen Aktionen da noch dazukommen mag. Es ist ja eines der Mysterien im Zuge der tendenziellen Gleichstellung der Geschlechter, dass jedes dazu neigt, nicht unbedingt die klügsten Angewohnheiten des anderen zu übernehmen: die Damen das Polterabendbesäufnis, die Herren den Kosmetikwahnsinn.

Verloren mitten drin in der grob polternden Hitzigkeit findet sich die introvertierte Isa. Sie ist 26 Jahre, Kindergärtnerin und liiert mit Martin, einem netten Kerl und Familienmenschen, der Hausbau - mit zwei oder auch drei Kinderzimmern - steht unmittelbar bevor. Doch Isa will in dem Kaff nicht versauern und träumt von großen Abenteuern, zu denen ihr freilich Mut wie Unternehmensgeist fehlen. Da kommt die Begegnung mit der Wiener Journalistin Zora gerade recht, die dabei ist, das Haus ihrer - durch Selbstmord - verstorbenen Tante als ländliches Refugium herzurichten. Gemeinsam machen sich die beiden an die Entrümpelung und finden dabei Fotos und Notizen von Zoras jung verunglückter Cousine Lou, die scheinbar ungestüm die Welt bereist und rastlos das Glück des Augenblicks gesucht hat.

Bis hierher enthält der Roman manch fein beschriebene Beobachtung. Etwa wie Isa die Gedankenkugeln in ihrem Kopf nicht stoppen kann und ihre Abneigung gegen Martin scheinbar grundlos wächst, ihr Erstaunen darüber, dass im Gespräch mit Zora ihre Gedanken plötzlich mit dem ident sind, was sie ausspricht, oder auch die mit Comicsprache angereicherten Protokolle des dörflichen Sozialverhaltens.

Prozess der Selbstentfremdung

Als Isa dann tatsächlich ausbricht, zuerst beim Dorffest, dann in Wien und noch später Richtung Sehnsuchtsland Italien - wo immer schon die Zitronen wuchsen -, kippt der Roman in eine spätpubertäre Abenteuergeschichte. Dass sich Isa in ihren Selbstgesprächen immer hartnäckiger als "Frau Isa" adressiert, markiert den Prozess der Selbstentfremdung etwas vordergründig. Wirken schon die Sprüche im Notizbuch der pubertierenden Lou nicht besonders bedeutsam, kippen sie latent ins Lächerliche, wenn Isa sie einem ihrer neuen Lover gegenüber im Smalltalk "anwendet" und der junge Mann darauf etwas von ihrer besonderen Originalität murmelt. Es wird jedenfalls ein Jahr voll sex and drugs mit vielen radikalen Blackouts, bis Isa endlich erkennt, dass es sinnlos ist, in Lous Rolle zu schlüpfen. Tatsächlich nimmt man der Figur den großen Befreiungsschlag keine Sekunde ab, allerdings auch nicht die plötzlich wiederentdeckte Leidenschaft für das Klavierspiel.

Vielleicht ist der Fehler - der jungen Frau wie der Geschichte - dass sie sich mehr an der jung verunglückten Lou reibt und weniger an der älteren Zora. Zwar hat auch die ihre dümmlichen Übermütigkeiten wie das "provokante" Maskieren von Krippenfiguren, aber sie lebt doch einen radikal anderen Lebensentwurf als den auf der Polterabendparty vorgesehenen und weiß zugleich über die unausbleiblichen Sehnsüchte in die je andere Richtung Bescheid.

Eva Lugbauer

Und am Ende stehlen wir Zitronen

Roman. 256 S., brosch., € 14,90 (Wortreich Verlag, Wien)

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