Machtgeile Mitmacher?

Eine Abrechnung mit der De-generation des Journalismus.

Tom Schimmeck ist freier Journalist und ein schriftstellerisches Unikum. Er kämpft für den Qualitätsjournalismus alter Schule und schreibt deshalb ein schwarzes Buch über den Untergang desselben: Trostlosigkeit und Kulturverfall in geschliffener Sprache. Im Reportagestil handelt er vor allem die deutsche Medienszene ab, die im Berliner Regierungsviertel kulminiert. Die Beobachtungen sind treffend und schmerzen. „Journalist – das ist mittlerweile ohnedies ein recht hochtrabender Begriff für jene Kräfte an den medialen Fließbändern, die der moderne Verlagsmanager vor Augen hat. „Contentakkordarbeiter“ oder „Verfüllungsgehilfe“ wäre passender.“

Hält man das Buch aus, wenn man selber Journalist ist, hält man es als lesende, radiohörende, und fernsehende „Zielgruppe“ im Publikum aus? Ja, es muss wahrscheinlich sein, warum soll man die Wirklichkeit schöner malen oder, wie Schimmeck an einer Stelle schreibt, „einen verblichenen Rembrandt mit Plaka-Farbe aufpeppen“?

Dass dem Autor in seinem Grimm an manchen Stellen die Sicherungen durchbrennen, schließt nicht aus, dass er oft recht hat. Sicher hätte er es sich ersparen können, die Verlagszentrale des Heinrich Bauer Verlags im Hamburger Meßberghof zeitgeschichtlich zu beschreiben: Im Meßberghof residierte während des Zweiten Weltkrieges die Firma Tesch & Stabenow. Sie „verkaufte viele Tausend Kilo ihres Nervengifts Zyklon B an die Konzentrationslager“. Also bitte! Wir nehmen dem Autor gern ab, dass Tragik und Glück, Herz und Schmerz, Rätsel und Busen die Kernkompetenz des Heinrich Bauer Verlags seien, während er „auf Geist ganz gezielt verzichtet“. Aber mit Zyklon B aufzufahren, disqualifiziert.

Aber sonst? Die Politiker verkünden Botschaften, ohne sie zu haben, die Journalisten verbreiten und interpretieren sie. Und machen oft den Fehler, sich selbst zur Elite oder wenigstens zur Society zu zählen, als „machtgeile Mitmacher“.

Das Beispiel Österreich

Auch vermeintlich edle Produkte der Medienindustrie bekommen ihr Fett ab. Der „Spiegel“ habe seit Jahren keine ausformulierte Meinung mehr, bemäkelt Schimmeck, schaut in andere Länder und entdeckt in einem Kapitel auch das benachbarte Haider-Land: „Österreich ist ein faszinierendes Fallbeispiel für die Degeneration kritischer Öffentlichkeit.“

In dem Buch kommt nichts vor, was Kommunikationswissenschaftler nicht seit Jahren analysieren, also genau auch die Verfilzung von Politik und Medien und selbstverständlich die Übermacht der Lobbys und PR-Kompanien. Da gibt es viel zu sagen und viel zu fürchten. Der Autor erledigt diese und andere Verzerrungen mit literarischem Furor. Wo ist Hoffnung? Nirgends, leider auch nicht nach Lektüre des letzten kurzen Kapitels, das mit „An die Journalisten“ übertitelt ist und in dessen zweiter Hälfte er den Angesprochenen sogar eine Überlebenschance einräumt: „Wir werden gebraucht. Wenn wir gut sind, mehr denn je. Denn es gibt noch immer gute Orte für Journalismus.“ Also doch! Aber auf 278 Druckseiten das Gegenteil zu verkünden und im letzten Absatz die Haarnadelkurve mit dem Ruf zu nehmen: „Was wir brauchen, ist mehr Mut.“ – Nach so viel Lebertran wirkt das nachgereichte Bröserl Zucker ziemlich lächerlich. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2010)

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