"Mitten in der großen Krise: Ein 'New Deal' für Europa"

Der Autor führt gnadenlos die "Finanzalchemisten" vor und hält ihnen die Fehlschlüsse in ihrem ökonomischen Denken vor, die die Krise erst möglich gemacht haben.

Selbst regelmäßige Leser der Wirtschaftsseiten unserer Zeitungen fühlen sich mehr und mehr überfordert und teilweise in Stich gelassen, wenn es darum geht, die Krise nicht nur in grellen oder auch nuancierten Farben zu beschreiben, sondern auch die Ursachen zu ergründen, die zur Krise geführt haben, um daraus einschätzen zu können, was denn nun wirklich zu tun wäre, um die Wirtschaft in Europa wieder in Schwung zu bringen, den Eurokurs zu stabilisieren, gegen die Arbeitslosigkeit anzukämpfen, die Staatshaushalte zu sanieren, eine bessere Wirtschafts- und Finanzordnung zu schaffen und Tricksereien á la Griechenland abzustellen.

Es ist George Soros sicher recht zu geben, dass wir uns bei der Beantwortung dieser Fragen nicht länger mit den Standardantworten der „Mainstream-Ökonomen“ abspeisen lassen dürfen. Soros hat sogar 40 Millionen Dollar angeboten, damit die besten Wissenschaftler und Experten neue Wege aufzeigen, wie wir uns aus den Dilemmas, in die wir geraten sind, wieder befreien können.

Stephan Schulmeister, Mitarbeiter beim österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo), ist ein solcher brillanter, kritischer Geist, der in dem vorliegenden Buch gnadenlos die „Finanzalchemisten“ vorführt und ihnen die Fehlschlüsse in ihrem ökonomischen Denken vorhält, die die Krise erst möglich gemacht haben.

Er macht deutlich, dass die Probleme mit den alten Denkmustern und ökonomischem Dogmen nicht lösbar sind, verwendet aber den größten Teil seines Essays darauf, neue Lösungen – den New Deal – für Europa vorzustellen. Gewiss sind manche seiner Thesen in den Augen mancher „marktreligiösen“ Ökonomen – wie er sie nennt – nahezu eine Gotteslästerung. Wer kann in Frage stellen, dass die „unsichtbar Hand“ des Marktes alles von selbst zum Guten wendet?

Sichtbare Hände beobachten

Abgesehen davon, dass alle jene, die das Wirken der unsichtbaren Hand anhimmeln, bestenfalls nur den halben Adam Smith gelesen haben, ist es manchmal notwendig, die unsichtbare Hand des Marktes an der Hand zu nehmen. Stephan Schulmeister geht noch einen Schritt weiter und vertritt die Auffassung, dass er „noch viel lieber die sichtbaren Hände beobachte und deren Handwerk und auch, wie man es ihnen legen könnte.“

Wer dieses Buch, das ungeheuer spannend geschrieben ist, aber teilweise sehr komplexe Strukturen und Prozesse der
Finanzwelt durchleuchtet, liest, wird einen enormen Wissensgewinn für sich verbuchen können. Er muss allerdings auch bereit sein, sich in diese für diemeisten von uns eher fremde Welt der
Finanzalchemisten, Staatsheuschrecken,der „Credit default swaps“ (CDS) und des „offshore bankings“ hineinzudenken. Das zahlt sich aber aus, denn mit den Folgen der von der Politik letztlich gewählten Wege aus der Krise müssen wir alle leben. Der Politik wäre daher zu empfehlen, gleich eine Sammelbestellung aufzugeben und das Buch zur Pflichtlektüre für den Sommer zu erklären. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2010)

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