Coolness und das kleine Glück

Forcierte Zwangsoriginalität und ein Übermaß an flapsigen Pointen bietet Doris Knechts Roman „Gruber geht“. Doch wenn es um die wichtigen Dinge geht, um Liebe und Tod, ist die Autorin herrlich altmodisch.

Gruber ist Mitte dreißig, verdient mit „Investmentscheiß“ unglaublich viel Geld und liebt das schnelle Leben, das er führt, immer auf dem Sprung von einer Börsestadt in die andere und dort von einem In-Lokal ins nächste. Er ist überheblich, beschränkt, egomanisch, ein richtiger Kotzbrocken, aber die Frauen mögen ihn trotzdem oder deswegen, wer weiß das schon. Seit Wochen trägt er den Brief eines Krankenhauses ungeöffnet in der Tasche des Sakkos, und als der Wiener in Zürich mit einer Zufallsbekanntschaft aus Berlin im Bett landet, hat er endlich die Frau gefunden, die interessiert genug an ihm ist, diesen für ihn zu öffnen. Er ist nicht überrascht, sondern in seiner dumpfen Ahnung bestätigt, als er von Sarah erfährt, dass in seinem Bauch ein Tumor wächst und er sich schleunigst im Spital melden solle.

Was nun wie in einer literarischen Versuchsanordnung durchgespielt wird, das ist die Menschwerdung Grubers im Angesichte des Todes. Einem Sieger, der sich Schwäche nicht zubilligt, werden jäh seine Grenzen aufgezeigt. Doch just indem er leidet, bessert sich Gruber, und als es ihm nach der dritten Chemotherapie richtig dreckig geht, hat er schon fast menschliche Züge ausgebildet. Der Schmerz ist also nicht sinnlos, er schabt dem Menschen die schlechten Charakterzüge ab, das Leid macht Gruber empfänglich für den Gedanken an die Endlichkeit des Lebens und an die Nichtigkeit seines eitlen Strebens. Offenbar ist die Angst doch ein guter Lehrmeister: Wenn der Schatten des Todes auf ihn fällt, wird selbst der Blender skeptisch. Gruber dämmert, dass er Bob Dylans Rat hätte befolgen sollen, nämlich „heimzugehen und ein einfaches Leben zu leben“.

Es wirkt eine feine Dialektik darin, dass den ersten wirklich katholischen Roman der neueren österreichischen Literatur ausgerechnet eine Autorin verfasst hat, deren Ruhm es bisher war, von den Heimsuchungen urbaner Hedonisten zu berichten: weißer Spritzer oder Rioja, Wohnung am Naschmarkt oder doch im Grünen, Kinder jetzt schon oder erst nach dem vierzigsten Geburtstag... Ich muss gestehen, dass ich die Begeisterung, mit der viele die Kolumnen lesen, die Doris Knecht im „Falter“ und im „Kurier“ veröffentlicht, nicht zu teilen vermag. Zu manieristisch ist mir deren Sprache, die in jedem Satz eine originelle Wendung, eine erkünstelte Pointe parat hat, zu affirmativ die Kritik, die sie an der langweiligen Gesellschaft übt, deren populäre Chronistin sie ist. Was sie in ihrer wöchentlichen „Falter“-Kolumne über ihren Mann, den „Langen“, und die „zwei Mimis“, ihre Zwillinge im Volksschulalter, zu erzählen hat, finde ich stets ein wenig peinlich. Dass der Lange sich das gefallen lässt, spricht für seinen Langmut, dass die zwei Mimis irgendwann dagegen rebellieren werden, dass die Mama ihre Geheimnisse beim Zeilenschinden ausplaudert, ist zu erwarten und auch zu hoffen. Kurz, ich hege gegen Doris Knecht ein aufrichtiges Ressentiment, das ich für wohlbegründet halte.

Nun aber hat die 1966 in Rankweil geborene, in Wien lebende Autorin ihren ersten Roman veröffentlicht. Und merkwürdig, wiewohl er im Übermaß aufbietet, was mich an den Kolumnen stört, hat mich Knecht für ihren rundum unsympathischen Protagonisten zu interessieren gewusst. Und auch für dessen Zufallsbekanntschaft Sarah, die mehr wird für ihn, als er es je einer seiner vielen Freundinnen und Geliebten gestattet hat. Tod und Liebe, darum geht es in diesem Roman, der stilistisch in der forciert wilden, dem Mündlichen angenäherten Kunstsprache verfasst ist, die die Fans von Knechts Kolumnen so lieben, inhaltlich aber auf geradezu verwegene Weise konservativ anmutet.

Sein Fleisch und ihr Fleisch

Auf einmal merkt Gruber, dass es Kinder gibt auf der Welt. Er sieht sie sich an und staunt selbst darüber, dass sie ihn gar nicht mehr stören, sondern rühren. Als er beobachtet, wie vertraut sich ein Vater und sein kleiner Sohn unterhalten, muss er, von krampfartigen Schmerzen gequält, daran denken, „dass er vielleicht nie mit einem Sohn sprechen wird. Und dass ihn vielleicht nie sein Sohn anlächeln wird. Weil er vielleicht keine Chance mehr hat, einen Sohn zu bekommen und aufwachsen zu sehen, weil ihm diese Chance, egal ob er sie nützen wollen würde oder nicht, vielleicht einfach genommen ist.“

Die innige Liebe kommt bei Gruber und Sarah über den heftigen Geschlechtsverkehr, und über den ist bekanntlich nicht leicht schreiben. Die alten Meister wussten schon, warum sie, wenn es zur Sache ging, gerne drei Punkte setzten. Knecht aber wagt es, und so umstandslos sie die Leute übers Ficken und Vögeln reden lässt, so keusch geht sie es an, wenn sie dieses darzustellen unternimmt: „Und er spürt, wie er sich mit ihr vermischt und ein anderer Mensch wird, ein vollständigerer Mensch, und sie spürt sein Fleisch und ihr Fleisch, ihr Herz, sein Herz, es lässt sich nicht mehr unterscheiden.“ Dem glückhaften Ende der Vereinigung ist ohnedies einzig die biblische Sprache angemessen, weil „er in sie hineindrängt und in sie hineinwächst und sie ausfüllt und sie versteht und erkennt; ja: erkennt.“

Cool, abgebrüht, illusionslos gehen die Leute durch die kleine Welt dieses Buches, in dem die Autorin sich nicht immer ihres stilistischen Lasters entschlägt und etwa auf das Drechseln flapsiger Pointen verzichten würde. Wenn der Kranke sich seiner besitzergreifenden Mutter, die ihm eine Suppe vorbeibringt, kaum erwehren kann, klingt das so: „Allerdings war er präsuppal zu müde, um sich gegen die maternale Esoterik-Attacke zu wehren“. Diese forcierte Zwangsoriginalität mag gefallen wem immer, mir hingegen gefällt, dass Doris Knecht, wenn es um die wichtigen Dinge geht, um Liebe und Tod, herrlich altmodisch wird. Tapfer lässt sie aus der Coolness große Gefühle wachsen und es mitunter „wie im schlechten Film“ zugehen, selbst bei Gefahr, kitschig und sentimental zu werden. In der Schlussszene gehen die beiden, der durch die Chemotherapie glatzköpfig gewordene Gruber und Sarah, die von ihm erkannt werden will, miteinander ins Bett, weil sie hoffen, auf diese Weise vielleicht ein Kind zusammenzubringen und damit auch eine gemeinsame Zukunft zu haben.

Menschwerdung durch Krankheit und Leid, Selbstheilung durch Liebe und Verantwortung. Und triumphierend über allem: nicht die große Utopie, sondern das kleine Glück zu zweit, das den Keim zu einer Familie in sich birgt: Nun ja, warum nicht, wenn es hilft? ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2011)

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