Die große Kunst der richtigen Frage

„Sie haben das Recht zu schweigen“: Expolizist Maximilian Edelbacher und Verhörtrainer Georg Herrnstadt beschreiben, wie man Lügner überführt und auch verstockte Verdächtige zum Reden bringt.

Zwei Tatsachen dürfen bei diesem Buch nicht verhehlt werden, weshalb sie vorwegzunehmen sind: Der Band bedürfte eines kompetenten Lektorats, und zwar sowohl in fachlicher als auch sprachlicher Hinsicht. Es wimmelt rekordverdächtig von grammatikalischen, orthografischen und anderen Fehlern. „Siegmund“ Freud, „todgeschwiegen“, die „Kenntniss“, der inadäquate Gebrauch von Fremdwörtern oder Wortwiederholungen in kurzen Sätzen sind noch die verzeihlichsten Ausrutscher. Auffallend ist ein eigenartiger Umrechnungskurs: 1,8 Millionen Schilling sind „ca. 13.000 Euro“ und elf Millionen Schilling „ca. acht Millionen Euro“. Wer als Leser aber großzügig darüber hinwegsieht, der wird, dies ist die zweite Gegebenheit, eine durchaus informative und spannende Lektüre konsumieren, zumal er nicht nur auf kapitale Fehler, sondern auch solche Verbrechen stoßen wird, die bestenfalls mit der Hilfe von Verhören aufzuklären sind. Denn die Verfasser erklären, „wie Lügner überführt werden“.

Ein Polizeiverhör ist nie und für niemanden eine Alltagssituation, selbst Unschuldige schwitzen und werden rot. Die Fertigkeit des Vernehmungsspezialisten ist es dann, Lüge und Wahrheit auseinanderzuhalten. Und natürlich ist die wahre Kunst, richtige Fragen zu stellen. Ob kleine Gaunereien von Wiener Vorstadtstrizzis oder aufsehenerregende Kriminalepen von Figuren aus der sogenannten guten Gesellschaft, der pensionierte Polizist Max Edelbacher und der Verhörtrainer Georg Herrnstadt, auch als „Schmetterlinge“-Bandmusiker bekannt, erzählen und reale Geschehnisse aus der Zeitgeschichte des österreichischen Verbrechens analysieren, wobei die Autorenschaft von Kapitel zu Kapitel wechselt.

Das Buch rückt die Wichtigkeit der verbalen und nonverbalen Kommunikation ins Zentrum. Der Polizeijurist und der Fragetechniker ergänzen sich. Dabei tun die hausbackene Ausdrucksweise und das nervige Selbstlob Edelbachers der Verständlichkeit keinen Abbruch. Überhaupt ist die Differenz zwischen den Autoren – Herrnstadt tendiert in die wissenschaftliche Richtung – spannend. Edelbacher schreibt etwa über eine „lesbische Frauenbande“, Herrnstadt über „Frauen und das Verbrechen“. Das Buch ist in seiner Systematik zunächst inkohärent, die nicht streng verbundenen Aussageteile fügen sich aber schließlich zu einem organischen Bild zusammen.

Interessant sind Edelbachers Aussagen, dass die Wirtschaftskriminalität bei uns nicht nur wächst, sondern „derzeit wuchert“, und dass „kriminelle Organisationen... über mehr Geld, Vermögen und Macht verfügen als kleine Staaten“. Angerissen wird auch die Bestechungsfrage, zu der es klar heißt: „Wer bestechen will, muss über Mittel verfügen, und wer sich bestechen lassen will, sollte über Macht verfügen.“

All dies lässt sich vor allem mit gekonnter Vernehmungstechnik aufklären. Hier beruft sich Edelbacher wiederholt auf Hans Gross, den „Vater der österreichischen Kriminologie“, und sein „Handbuch für Untersuchungsrichter“, das vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg zig Auflagen erlebt hat. „Die Einvernahme“, so Edelbacher gleichsam in der Gross-Nachfolge, „zählt auch heute noch zu den Königsdisziplinen der Kriminalistik.“ „Die Polizei“, behauptet Herrnstadt, „war stets erfinderisch, wenn es darum ging, Menschen gesprächig zu machen.“

Der Katalog der Befragten reicht hier vom kleinen Einbrecher über Brandstifter bis zu Udo Proksch und Jack Unterweger, ohne die ein solches Buch offensichtlich nicht auskommen kann, und endet bei einer– in Wien nach einem brutalen Bankraub–festgenommenen RAF-Terroristin. Edelbacher beschreibt genau, wie man die vollkommen verstockte Politverbrecherin mit einem relativ billigen Trick zum „Singen“ bringen konnte. Das „Gesetz des Schweigens“, die Omerta, die in anderen „Organisationen“ zum (Un-)Rechtsbestand gehört, wurde über den Geruchssinn außer Kraft gesetzt. Mehr sei hier nicht verraten. Die Existenz gemeinsam gehüteter Geheimnisse um verübte Straftaten, meint Herrnstadt, sei „die stärkste Verbindung aller Netzwerke. Das sehen wir auch heute in modernen Netzwerken honoriger Leute.“ Welche grassierenden Krankheiten angedeutet werden, steht deutlich zwischen den Zeilen.

In der Polizeiarbeit sind auch sprachliche Geheimnisse aus phänomengebundenen Schilderungen aufzuklären, etwa bei der Erzählung eines missbrauchten Kindes über sexuelle Handlungen. Einen anschaulichen Fall spitzt Herrnstadt auf einen Satz zu, den die geschulte Polizistin anstandslos versteht: „Wenn der Opa mir ein Küsschen gab, hat er mir mit seiner Zunge die Zähne geputzt.“ Der Enkelin war der Zungenkuss bis dahin nicht geläufig.

Das Verbrechergen haben in ihrem umfangreichen Werk aber auch diese Autoren, wie sie feststellen, nicht gefunden: „Unter den Verbrechern gibt es, wie in jeder größeren Menschengruppe, ganz unterschiedliche Typen. Kluge und blöde, sanfte oder gewalttätige, hinterlistige, schlaue und offene, da findet man ,tumbe Toren‘ und witzig-intelligente Exemplare“, womit gesagt werden soll, dass es „den Verbrecher schlechthin“ nicht gibt. Eine große Hoffnung – trotz allen Profilings und aller Rasterfahndung. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2011)

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