Einer, der zur Hand war

Peter Handkes Einsatz für den Serben Dragoljub Milanović.

Es ist hier eine Geschichte zu erzählen“, lautet Peter Handkes erster Satz. Sofort weiß man: Es geht nicht um das Vergnügen des Geschichtenerzählens, sondern darum, eine Geschichte zu erzählen, die erzählt werden soll, nein: erzählt werden muss und den Lesern nicht erspart werden kann. Die Angelegenheit ist dringlich. Ein „J'accuse“ schwingt schon in diesem ersten Satz unüberhörbar mit.

„Die Geschichte des Dragoljub Milanović“, ein kaum 40 Seiten langer Text, ist eine Fortsetzung von Handkes schon seit Mitte der 1990er-Jahre andauerndem, von vielen bitter kritisierten, so oft schwer nachvollziehbaren Einsatz um Gerechtigkeit für Serbien. Diesmal tritt Handke für einen einzelnen Serben ein, berichtet von einem Mann, der in Serbien die Rolle des Sündenbocks übernehmen musste, weil kein internationaler Gerichtshof, keine Politik, keine Staatengemeinschaft sich für zuständig erklärte. Die eigentlich Verantwortlichen für 16 zivile Todesopfer waren nicht greifbar, sind es bis heute nicht. Doch Recht musste gesprochen werden, der Trauer um die Gestorbenen wegen, „also musste doch einer schuldig sein, und zwar einer, der, wie man sagt, zur Hand war“, schreibt Handke.

Zur Hand war Dragoljub Milanović, der ehemalige Direktor des serbischen Radios und Fernsehens. Er sitzt, verurteilt von einem serbischen Gericht, seit neun Jahren im Gefängnis. Häftling seines eigenen Landes wegen des gezielten Bombenangriffs der Nato in der Nacht des 23. April 1999 auf den Sitz der serbischen TV-Anstalt im Zentrum Belgrads, bei dem 16 Menschen ums Leben kamen, alle von ihnen Mitarbeiter des Dragoljub Milanović. Um zwei Uhr vier fielen die Bomben, eine halbe Stunde zuvor hatte Milanović den Sender verlassen, um nach Hause zu gehen.

Ein fahrlässiges Versäumnis?

Er hätte, hieß es vor Gericht, vier Wochen nach Beginn der Nato-Bombardements ein solches Geschehen einkalkulieren und seine Mitarbeiter rechtzeitig evakuieren müssen. Für den Schuldspruch genügte dem Gericht die Anweisung einer übergeordneten Dienststelle, den Sender mitsamt allen Angestellten aus der Hauptstadt auszulagern. Eine Anweisung, soformuliert, dass es Milanović freistand, ihr nachzukommen oder nicht. Für das Gericht ein fahrlässiges Versäumnis.

Handke stand vor den Trümmern des Sendergebäudes, er hat zehn Jahre später Milanović zweimal im Gefängnis besucht und einen stillen, kindlichen Mann gefunden, er hat die Gerichtsprotokolle gelesen. Es ist das augenfällige und inzwischen vor allem auch außerhalb Serbiens gut dokumentierte Unrecht gegenüber einem Einzelnen, das Handke in Worte fasst. Gegen Achtlosigkeit und Willkür setzt er Fakten und seine eigenen Eindrücke. Wie zufällig wirkt es, dass sein – teilweise im „Spectrum“ publizierter – Text zwischen Buchdeckeln gelandet ist. Dragoljub Milanović – „immer wieder sei dieser Name erwähnt, damit er sich einpräge über die Aktualitäten hinaus“ – soll erinnert werden, seine Geschichte wieder und wieder und wieder erzählt, „selbst wenn ich sie einem Baumstrunk erzählen müsste, oder einem Einbaum, oder einem verrosteten Schienenstrang“. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2011)

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