„Mari do wari“

Friedrich Achleitner hat der dialektalen Lyrik der Wiener Gruppe Gedichte in Innviertler Mundart beigesellt. Der Band „Iwahaubbd“ versammelt Achleitners Dialektpoeme seit 1955.

Artmanns Titel von 1958 hat sich ins kollektive Gedächtnis eingeprägt: „med ana schwoazzn dintn“. Doch es hat nichts genützt. Dem Dialektgedicht haftet wie eh und je der Ruch des Provinziellen, des Konservativen an. Auch einer der bedeutendsten Avantgardisten der österreichischen Literatur nach 1945 konnte nichts daran ändern, dass man bei Mundart eher an Rosegger und Weinheber denkt, auch an das schmalzige Wienerlied, als an die Wiener Gruppe. Wahrscheinlich sind die weniger begabten Epigonen Artmanns daran nicht ganz unschuldig.

Ein Jahr nach Artmanns revolutionärem „Klassiker“ erschien „hosn rosn baa“, worin Artmann und seine Weggefährten Gerhard Rühm und der Dichter und Architekt Friedrich Achleitner ihre Mundartexperimente veröffentlichten. Auch Achleitner, von dem hier die Rede sein soll, bedient sich einer eigenen Schreibweise, die den Lautbestand mit dem konventionellen Alphabet, ohne diakritische Zeichen, wiedergibt. Das hat schon im Schriftbild seinen eigenen Reiz und behindert – jedenfalls ehe man sich „eingelesen“ hat – die Lektüre auf eine produktive Weise. Denn Kunst zielt nicht auf Erleichterung, sondern auf Erschwerung der Rezeption: Erst sie überwindet, mit den russischen Formalisten gesprochen, den Automatismus der (alltäglichen) Wahrnehmung. Aber Achleitners Dialekt stammt nicht, wie jener Artmanns, aus „Bradnsee“, sondern aus dem Innviertel.

Hilflos gegenüber einer Lyrik, die auf Reim und zunehmend auch auf ein regelmäßiges Metrum verzichtet, flüchten sich Literaturwissenschaftler, nach dem Kriterium eines Gedichts, also dem Unterscheidungsmerkmal gegenüber erzählenden und dramatischen Texten befragt, gern in die nur halb ernst gemeinte Minimaldefinition: Ein Gedicht ist ein Text, bei dem es rechts auf der Seite viel weißen Raum gibt. Will sagen: Der Zeilenbruch kennzeichnet den Vers, der, seit Epen und Versdramen aus der Mode gekommen sind, als konstitutiv für Lyrik gilt. (Das Prosagedicht darf dabei, als Randerscheinung, vernachlässigt werden.) Bei Friedrich Achleitner gibt es sehr viel weißen Raum. Er bevorzugt den extrem kurzen Vers, der oft nur aus einem einzigen Wort besteht.

Die Bedeutung des Gedichts erschließt sich in der Vertikalen. Damit weist sich Achleitner als treuer Mitstreiter für die Konkrete Dichtung aus, die es ja nach wie vor gibt, auch wenn der Terminus kaum noch verwendet wird. Ihre Verfahren wie die Reihung, die Permutation, das Spiel mit Klangähnlichkeiten bilden auch das Rückgrat von Achleitners Gedichten. Dabei spielt es keine Rolle, ob sich der Autor auf einen Dialekt oder die Hochsprache bezieht, zumal die Konkrete Poesie ohnedies eine Tendenz zur „transmentalen“, also die Semantik überwindenden Sprache hat. Anders formuliert: Die phonetische Dimension (wenn man so will: der „Sound“) ist zumindest ebenso wichtig wie die „Bedeutung“ im Sinn einer Bezugnahme auf die außerliterarische Wirklichkeit. Und da fügt die Mundart einen Charme hinzu, von dem ja auch die österreichische Liedermacherzunft profitiert hat. Um diesen Ausführungen Sinnlichkeit zu verleihen, hier – unter Zerstörung der typografischen Anordnung – ein Dreizeilengedicht: „mari / do / wari“. Und eine kleine poetologische Selbstreflexion: „dai schmoan / is a gedichd // sogd ea // und dai gedichd / is a schmoan // sogd si“. Wenn Achleitner das Wort „und“ (und da spielt nun der Dialekt ausnahmsweise keine Rolle) in einer langen Kolumne untereinander und zuletzt „undd“ schreibt, dann kann man das als Witz verstehen, aber auch als kürzeste Betrachtung über die Abweichung vom Immergleichen, über die Möglichkeit der Veränderung im scheinbar Unveränderlichen.

Eine Inspirationsquelle für Achleitner ist das Schnadahüpfel oder Gstanzl. Seine normierte Form lädt zum Spielen ein. Bekanntlich hat Artmann, offenbar von solchen Formexperimenten fasziniert, Edward Lears Limmericks übersetzt. Im Schnadahüpfel und im Gstanzl treffen, wie im Limmerick, anarchische und regulative Elemente auf einander. Sie öffnen sich dem Nonsens, der ja als solcher nur empfunden wird, weil er unseren Erfahrungen widerspricht, und werden – durch ihre Form und durch die gesungene Melodie – zum Ritual. Hinzu kommt die Vorliebe der Gattung fürs Fäkalische. Bei Achleitner klingt das so: „jo, jo dö braissn / dö frössn und schaissn / dö boan kinnans aa / owa aonö draraa“.

Den Band, der Arbeiten seit 1955 vereint, schließt eine „innviaddla liddanai“ ab, die über 55 Seiten hinweg dem Muster einer Gstanzl-Variante folgt, in der jeder zweite Vers „sagt er“ (bei Achleitner: „sogd a“) lautet. Eine Kostprobe: „mid dö schuach / sogd a / kaosd guad lauffm / sogd a / owa zeaschd / sogd a / muas das kauffm / sogd a“.

Man sieht: Avantgarde kann höchst amüsant sein. Kinder sind mit ihren Abzählreimen ganz nah dran an diesem spielerischen Umgang mit Sprache, ehe er ihnen zugunsten eines scheinbaren Tiefsinns ausgetrieben wird. Sie könnten zur Erkenntnis gelangen, dass Achleitners gesammelte Dialektgedichte zu den wichtigsten heimischen Neuerscheinungen des Jahres gehören. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2011)

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