Traktat übers Tarockieren

Die Nachkriegszeit aus Sicht des Linzer Autors Wulf Podzeit.

In Linz müsste man sein. Hätte man sein sollen. Dann wäre Gelegenheit gewesen, Wulf Podzeit kennenzulernen, der im April 2009, kurz nach seinem 69. Geburtstag, gestorben ist. Seinen Beruf als Archäologe am Linzer Stadtmuseum hatte er mit 31 Jahren aufgegeben, weil „das kein Beruf ist, mit dem man den Krieg verhindern kann“, und anschließend als Filmemacher, Kunstvermittler und Journalist gearbeitet. Wichtig war ihm der Umgang mit Kindern, denen er eigens ein Kino gründete.

In der biografischen Notiz des mit einem innigen Nachwort Richard Walls und bewusst rätselhaften Radierungen der Mühlviertler Künstlerin Judith Maria Goetzloff ausgestatteten Erzählbandes heißt es, der Autor habe gegen Ende seines Lebens „doch noch das Glück gefunden, nach dem er gesucht hat“. Von diesem Glück künden die vier Prosastücke, die das Buch eröffnen, obwohl oder gerade weil sie von einer Kindheit und Jugend handeln, die vom Fanatismus seines Nazivaters überschattet wurde.

Gegenwärtig bleibt das Glücksempfinden insofern, als Podzeit durch die Intensität seines Erzählens zu erkennen gibt, wie wenig dem jungen Menschen, der er einmal war, die bösartigen, rassistischen, antidemokratischen Tiraden des Familienoberhaupts und anderer Autoritätspersonen – während der Schule, dann beim Bundesheer – anhaben konnten.

Mehr als Bauernhochdeutsch

Sein Blick zurück ist nicht verklärt, aber auch nicht hasserfüllt oder von der Trauer um vertane Möglichkeiten getrübt. Nur einmal gewinnt man den Eindruck, dass Podzeits Urteilsfähigkeit hinter seiner Erzählkunst zurückbleibt: wenn er in der Prosaskizze „Österreich ist frei“ den Moment evoziert, an dem er als 15-Jähriger im Non-Stop-Kino die Unterzeichnung des Staatsvertrags miterlebt hat und dabei die Erinnerung an Figls „niederösterreichisches Bauernhochdeutsch“ mit der Kritik an der Lügenhaftigkeit des Ausrufes kombiniert. So unterschlägt er einen Teil der Wahrheit, dass nämlich derjenige,von dem er nur die dialektale Färbung erwähnt, KZ-Häftling war.

Am schönsten sind die Erzählungen dann, wenn sie unaufgeregt, lakonisch, in vielen Details das vertraute Bild der österreichischen Nachkriegszeit aufbrechen: Nichts im Leben des Heranwachsenden ist gefestigt, alles scheint möglich. Der beste Lehrer macht Karriere in der FPÖ, die größten Schinder beim Heer sind der Sohn des konservativen Landeshauptmanns und ein sozialdemokratischer Landtagsabgeordneter. Das sind Widersprüche, die ihn nicht anfechten. Er benennt sie, ohne der Versuchung nachzugeben, sie aufzulösen. Was er bedauert, wird nicht karikiert: „Die größte Lücke war, dass wir nichts oder kaum etwas Konkretes über Widerstand wussten, dass Mauthausen ein unerreichbarer Ort für uns war und dass die Meinung über den VdU eine unerträglich gespaltene war.“

Und dann gibt es noch, als Draufgabe, eine dreiteiliges Traktat über das Tarockieren. In diesem poetischen Zauberstück erfährt man viel über die Welt und über die Kräfte, die in ihr walten. Über Krieg und Frieden, Vorhand und Trouille, Uhu und Kakadu. Und natürlich auch über einen Menschen, den ich gern kennengelernt hätte. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.