Punk mit roten Schuhen

Sie wurde im Jänner 25. Sie hat Sinologie studiert. Sie hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht. In diesen Tagen erscheint ihr erster Roman: „Chucks“. Ein Gespräch mit Cornelia Travniceküber das Leben und die Literatur.

Auf Ihrer Homepage ist zu lesen, dass Sie sich soeben einen neuen Arbeitsplatz eingerichtet haben. Sind Sie übersiedelt?
Ich habe einen neuen Zweitwohnsitz bezogen. Ich habe zwar noch mein Zimmer bei den Eltern in Traismauer, aber meinen eigenen Hausstand habe ich vorerst wieder auf das Land hinaus verlegt. Durch den Umzug, der fast ein dreiviertel Jahr gedauert hat, war ich arbeitsplatzlos. Jetzt habe ich einen neuen eigenen Schreibtisch.
Klickt man die angegebene Internetadresse an, taucht das Foto eines Schreibtischs am Fenster einer Mansardenwohnung auf. Darauf stehen die Plastiken zweier Vögel. Was haben die beiden Vögel zu bedeuten?
Das sind aufziehbare Tauben, ein Geschenk eines befreundeten Autors. Tauben kommen in diversen Texten von mir vor. Diese sind aus einer Grazer Buchhandlung und wanderten dort die Bücherregale entlang.
Was heißt das für Sie, wenn sie gehen statt fliegen?
Tauben verbringen ja viel Zeit auf dem Boden. Für manche Leute sind sie so etwas wie fliegende Ratten. Man hat gern Singvögel, aber Tauben hat man nicht so gern. Das sind die ungeliebten Vögel jeder Großstadt.
Was halten Sie vom Taubenfüttern?
Das soll man eigentlich nicht machen, besonders nicht in U-Bahn-Stationen, aber wenn ich etwas Bröseliges esse, dann dürfen die Tauben sehr gern die Brösel fressen.
Außerdem steht eine ganz alte Schreibmaschine auf dem Schreibtisch.
Das ist nicht nur eine Schreibmaschine, sondern da steckt auch ein Tablet drin: eine alte Underwood Nr. 5 gekoppelt mit einem Sony Tablet S statt des Papiers. Ich kann also mit meiner Schreibmaschine ins Internet.
Auf dem Rücken eines der Bücher, die auf diesem Schreibtisch liegen, liest man den Namen Handke. Hat er eine Bedeutung für Sie?
Der Buchstapel ist mein „SuB“, also der Stapel ungelesener Bücher. Von Handke habe ich frühe Bücher gelesen, etwa „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“. Aber ich habe keine Vorbilder, ich habe nur einzelne Bücher, die mich inspirieren. Gerade habe ich von Georg Klein den „Roman unserer Kindheit“ gelesen. Hat mich sehr beeindruckt.
Wenn wir schon bei Namen sind, Ihr Nachname ist ja seit Helmut Qualtinger Literatur. Hadern Sie manchmal damit, oder denken Sie, dass er Ihrer Karriere guttut?
Ich glaube weder noch. Es gibt natürlich Leute, die den Herrn Travnicek kennen, die finden das dann lustig oder glauben, dass das ein Pseudonym von mir ist. Ich greife diese Geschichte gern auf, deshalb heißt mein Blog auch „FrauTravnicek in Wien“.
Sind Sie wegen des Namens als Kind gehänselt worden?
Im Gymnasium gab's kurz Gelächter. Der Text „Travnicek am Mittelmeer“ ist ja im Lesebuch. Da hat es schon geheißen: „Haha, du stehst im Lesebuch!“ Vor allem auch, weil die Figur des Travnicek als der grantelnde Urwiener gilt, der gar nicht open minded ist, also ziemlich das Gegenteil von mir, die ich sehr reisewütig bin.
Als Motto Ihres Romans „Chucks“ haben Sie einen Satz der Rockband Tomte gewählt, worin es heißt, dass es eine Aufgabe wäre, den Traurigen die Welt zu erklären. Gehören Sie zu den Traurigen?
Es gibt ein gewisses Maß an Melancholie, in dem man sich gar nicht so schlecht fühlt. Das fühlt sich so angenehm traurig an. Ich denke, dass man seine eigene Traurigkeit erkennen muss, um fröhlich sein zu können. Man muss das schon zulassen.
Die Traurigkeit spielt in Ihren Büchern allerdings eine bedeutende Rolle: Es wird darin viel gestorben. Wieso haben Sie als junge Autorin so ein inniges Verhältnis zum Tod?
Ich möchte nicht innig sagen, eher ein gesundes Verhältnis. Der Tod ist eine Nebenwirkung vom Leben, man kommt nicht dran vorbei. Wir haben hier ja eine gewisse Verdrängungskultur, was den Tod angeht. In anderen Kulturen ist der Tod nur ein Übergang. In China zum Beispiel werden die Ahnen verehrt und regelmäßig angerufen. Man geht davon aus, dass sie als Geister immer noch da sind und der Familie beistehen. Da ist man nicht weg. Auch in der buddhistischen Weltsicht, die mir vielleicht am nächsten steht, ist der Tod nur ein Übergang, entweder ins Nirwana, dann kann man sich freuen, oder ins nächste Leben.
Maeva, die Protagonistin Ihres Romans, verbringt nach dem Tod ihres Bruders viel Zeit auf der Straße. Haben Sie Erfahrungen mit dem Leben auf der Straße?
Nein, ich habe zwar Punks kennengelernt und mich mit ihnen unterhalten, nicht nur in Wien, sondern auch in Graz im Stadtpark, aber ich habe nie länger als ein paar Stunden mit ihnen verbracht.
Die roten Schuhe, die berühmten „Chucks“ des Bruders von Mae, sind ein durchgängiges Motiv des Romans. Spielt Markenware für „Kinder vom Karlsplatz“ denn eine Rolle?
Nein, gar nicht. Ein richtiger Punk schaut nicht auf die Marke. Aber die Mae ist ja kein richtiger Punk. Sie ist nur familienlos geworden, weil ihre Mutter mit der Situation selbst nicht richtig fertiggeworden ist. Mae merkt, dass da keiner ist, an dem sie sich anhalten kann, und findet durch Zufall die ältere Freundin. Die ist dann richtig nett zu ihr.
Auf der anderen Seite sind die beiden Mädchen auch rotzfrech und gewalttätig. Aus Protest oder aus Frust?
Bei Mae würde ich sagen: Einfach, weil sie wütend ist. Da gibt es so eine Grundwut durch das Zerbrechen der Familie, dadurch, dass keiner da ist. Viele Punks sagen sich ja, da bin ich, und da häng ich jetzt quasi ab. Mae will aber noch etwas, aber sie weiß noch nicht, was sie will. Und dieses Wollen und dieses Nichtwissen, wohin, das macht sie einfach wütend.
Eine Serie von Ihnen heißt „Bis Klagenfurt anruft“. Was würden Sie tun, wenn es anruft?
Ich würde sagen: Gern, super. Der Bachmann-Preis war so der erste große Traum, als ich begonnen habe, ernsthaft zu schreiben. ■


Die Autorin liest am 8.März um 19 Uhr in der Wiener Hauptbücherei, Urban-Loritz-Platz 2a, aus ihrem Roman.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2012)

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