Feinde der USA

Berühmt und jetzt auch berüch- tigt: Tim Weiner beschreibt ein FBI, das jahrzehntelang am Rande der Legalität vermeintliche Kommunisten, Homosexuelle und Terroristen ausspionierte.

Die größte Menschenhatz in der Geschichte der USA begann am 2.Januar1920 um neun Uhr abends. Hunderte Agenten des FBI drangen in Privathäuser ein, in Vereinslokale, Kneipen, Geschäfte und Versammlungssäle. Sie zerrten Menschen aus Buchläden und Schlafzimmern und sperrten sie in Bezirks- und Bundesgefängnisse, die bald aus allen Nähten platzten. Binnen einer Woche wurden zwischen 6000 und 10.000 Menschen festgenommen, viele Tausende ohne rechtliche Grundlage.

Die Aktion gegen echte und vermeintliche Kommunisten ging unter dem Namen „Palmer Raids“ in die Geschichte ein, benannte nach dem damaligen Justizminister Alexander Palmer. Doch in Wirklichkeit habe Palmer die Festnahmen weder organisiert noch beauftragt. „Es war Hoover“ (J. Edgar, der Gründer und damalige Chef des FBI), enthüllt Tim Weiner in seinem soeben auf Deutsch erschienenen Buch „FBI: Die wahre Geschichte einer legendären Organisation“.

Die Enthüllungen sind einmalig. Erstmals hatte ein Autor Zugang zu 70.000 bisher geheim gehaltenen Dokumenten, die einen Einblick in die dunkelsten Kapitel der amerikanischen Bundespolizei gewähren: in illegale Verhaftungen, in Einbrüche, Abhöraktionen, Überwachungenund Erpressungen. Alles im Namen der nationalen Sicherheit, meist im Auftrag des jeweils amtierenden Präsidenten, immer auf Drängen vonJ. Edgar Hoover. – Mit der Entstehungsgeschichte des FBI, der Jagd auf Gangster oder den durch einen Hollywood-Film derzeit wieder aktuellen Spekulationen über das Privatleben Hoovers beschäftigt sich Weiner gar nicht oder nur am Rande. Deshalb trifft der englische Titel den Inhalt auch besser: „Enemies. A History of the FBI“. Wer sich für die Geschichte der amerikanischen Bundespolizei und seine spektakulärsten Fälle interessiert, dem sei Ronald Kesslers „The Bureau: The Secret History of the FBI“ aus dem Jahr 2003 empfohlen, in dem er bereits FBI-Vizechef Mark Felt als Bob Woodwards
geheimen Watergate-Informanten „Deep Throat“ enthüllte.

Weiner zeichnet das Bild einer wenig ehrenhaften Polizeieinheit, sein Buch ist eine logische Fortsetzung seines ersten Werkes „CIA: Die ganze Geschichte“, in dem der langjährige Geheimdienstreporter und zweifache Pulitzer-Preis-Gewinner der „New York Times“ das Scheitern und die vielen Fehler des Auslandsgeheimdienstes auflistet. Auch bei der CIA fanden viele Operationen außerhalb des legalen Rahmengerüsts eines Rechtsstaats statt. Von den „Schlapphüten“ hat man sich das ja fast erwartet. Bemerkenswert ist aber, mit welcher Unverschämtheit und Selbstverständlichkeit die „Gentlemen“ des FBI Gesetze beugten und umgingen.

Ausführlich schildert Weiner anhand der freigegebenen Dokumente den Kampf gegen vermeintliche Feinde der USA. Hoover war regelrecht besessen von der Vorstellung, Kommunisten könnten das Land unterwandern. Mithilfe eines Spionagegesetzes aus dem Ersten Weltkrieg startete das FBI das erste Überwachungsprogramm der amerikanischen Geschichte. Radikale wurden verfolgt, Telefone abgehört und Briefe geöffnet. Oft genügte schon Kritik am Land, um als subversives Element zu gelten. Rose Pastor Stokes, eine russische Immigrantin und Ehefrau eines US-Millionärs, wagte es festzustellen, dass eine Regierung, die für die Profiteure sei, nicht gleichzeitig für das Volk sein könne. Dafür wurde sie zu zehn Jahren Haft verurteilt. Als Eugene Debs, der Vorsitzende der amerikanischen Sozialistischen Partei, das Urteil kritisierte, wurde auch er vor Gericht gestellt.

Hoover, zu diesem Schluss kommt man nach der Lektüre der 696 Seiten, ist das beste Beispiel dafür, dass gut gemeint nicht gleichbedeutend ist mit gut. Das Bestreben des FBI-Gründers richtete sich stets danach, das Land zu schützen. Er sah es als seine patriotische Pflicht, die Möglichkeiten „seiner“ Polizeiorganisation im Kampf gegen all jene einzusetzen, die er als Feinde des Landes betrachtete: Kommunisten, Homosexuelle, Bürgerrechtler. Der Zweck heiligte dabei alleMittel. Beispielsweise bei den Abhöraktionen gegen den Bürgerrechtler Martin LutherKing, zu denen er Anfang der 1960er-Jahre Justizminister Robert Kennedy überredete. Später verließ sich Hoover nicht mehr auf seine Überredungskünste, sondern nutzte sein Wissen über den Lebenswandel von Präsident John F. Kennedy und seinem Bruder, um seinen Willen durchzusetzen.

Nach dem Attentat auf JFK hatte Hoover Präsidenten im Weißen Haus, die williger auf seine Verschwörungstheorien reagierten und begieriger auf seinen „schmutzigen Klatsch“ waren. Lyndon B. Johnson etwa, der Hoover gar als „meinen Bruder“ bezeichnete, oder Richard Nixon, der überall Feinde sah. Über die Jahre kam es bei Hoover jedoch zu einem interessanten Sinneswandel. Er stellte den Einsatz von Wanzen und das Anzapfen von Telefonen zunehmend infrage. Das gipfelte in einem Konflikt mit Nixon, als dieser vom FBI die Überwachung seiner politischen Gegner forderte. Weil Hoover nicht so mitspielte, wie der Präsident wollte, setzte er sein eigenes Abhörteam ein, die „Klempner“ („plumbers“). Damit war der FBI-Chef indirekt für den Sturz Nixons verantwortlich: Die „Klempner“ waren es nämlich, die in die Zentrale der Demokraten im Bürokomplex Watergate einbrachen.

Als Hoover im Mai 1972 starb, hatte die fragwürdige Geheimdienstarbeit des FBI schlechte Tradition und wurde von allen Präsidenten genützt. Von manchen mehr, von manchen weniger. Aber erst nach den Anschlägen vom 11.September2001 hauchten die USA den Geheimermittlungen, die sichunter Hoover 55 Jahrelang hemmungslos entfaltet hatten, neues Leben ein. Das FBI bekam mit dem „Patriot Act“weitreichende Befugnisse in die Hand. Tausende Menschen wurden im Laufe der Jahre auf vage Verdachtsmomente hin verhaftet, und eine umfangreiche Liste der Terrorverdächtigen wurde angelegt, auf der mehr als 1,1 Millionen Amerikaner stehen.

Als Präsident George W. Bush eine geheime Abhöraktion gegen verdächtige US-Amerikaner starten ließ („Stellar Wind“), ginger aber zu weit. FBI-Chef Robert Mueller stellte den Präsidenten vor ein Ultimatum: Wenn das FBI eine Anweisung erhält, weiterhin Abhöraktionen ohne richterliche Genehmigungen durchzuführen, werde er zurücktreten. Als sich auch Justizminister John Ashcroft auf Muellers Seite stellte, hatte der Präsident verloren. Er versprach, das Programm auf eine rechtliche Basis zu stellen. Es dauerte zwar Jahre, aber es passierte.

Noch immer ist Mueller im Amt, so lange wie kein anderer FBI-Chef nach Hoover. Er habe ein einfaches Prinzip bei seiner Arbeit, meinte er im April 2004 vor einer Kommission des US-Kongresses. Er wolle nicht, dass Historiker einmal über ihn sagen: „Du hast zwar den Krieg gegen den Terror gewonnen, aber die bürgerlichen Freiheitsrechte geopfert.“ ■

Tim Weiner
FBI

Die wahre Geschichte. Aus dem Amerikanischen von Christa Prummer-Lehmair u. a. 696S., geb., €23,70 (S.Fischer Verlag)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2012)

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