Karriereknick in Nordkorea

Reisereporter, der nicht reist, macht „Kein Feuer, das nicht brennt“. Eine lodernde Satire.

In den Diamantbergen verstirbt eine amerikanische Touristin neben ihrer Handtasche, nachdem sie – infolge einer Verwechslung von North Carolina und Nordkorea – wundersamerweise ohne Probleme in den Schurkenstaat eingereist war. Im Osten Berlins fliegt ein Reisereporter aus seinem Büro, weil er die eingangs geschilderte Story schlichtweg erfunden hatte und nun von seinem Chefredakteur aufgeblättert wird, da die nordkoreanischen Behörden plötzlich der Sache auf den Grund wollten. Journalistisch ein Super-GAU.

Dichtung und Wahrheit schaukeln sich in Rayk Wielands famosem Buch auf. Erlebt oder erfunden – unerheblich angesichts dieses Schaustücks für satirisches Erzählen, ausgelassene Lästerei und absurde und herumalbernde Philosophie eines Helden, der für seine Reisereportagen seinen Hintern aus Prinzip noch nie aus dem Osten Berlins hinausbewegt hat. „Kein Feuer, das nicht brennt“ (danke für den Titel) ist eine Flamme unter den inflationären literarischen Belustigungen. Im Text brodelt es, oft schäumt der Witz über. Eine Episode entzündet die andere. Vieles hat das Zeug zur Kabarettnummer, zum Glück wird daraus dann keine.

Wieland, groß geworden in der Bugwelle der „Titanic“ und Autor von Titeln wie „Öde Orte“ oder der DDR-Story „Ich schlage vor, dass wir uns küssen“, schickt den Stubenhocker auf eine Reise: zuerst unfreiwillig ins Krankenhaus in Kreuzberg, einem Viertel, das er sich geschworen hat, nie zu betreten. Asyl sucht er just in einem Hostel der Nordkoreanischen Botschaft in Berlin. Auf dem Friedhof folgt Abschied, dann Aufbruch nach Shanghai. Letzte Etappe: die große chinesische Mauer. Gut vorstellbar, dass sich Wieland beim Schreiben einen Ast abgelacht hat, als er die Sager in den Mund seines Helden legte und sich die Initiationsstufen ausdachte, über die dieser Bohemien so elegant stolpern sollte.

Kaminfeuervideoprojektion

„Die Realität ist in der Regel keine Be- reicherung von Gebrauchstexten“, sagt dieser Dichterheld. Regelmäßig hat er sein „Leitmedium für einen Tourismus von Touristen, die keine Touristen sein wollen“ mit Geschichten aus zigter Hand beliefert, von deren unredigierter Ausgangsqualität eine echte Reiseredaktion nur träumen kann. Diesem Münchhausen wäre ich realiter wohl auf dem Leim gegangen. Nicht oft bekommt man solche Texte angeboten: so lebendig, voller schräger Kommentare, so durchsetzt von glaubwürdigkeitsstiftenden Partikeln.

Die Felszeichnungen, der Golfplatz von Kim Jon Il, die Tasche der Toten, das muss einfach erlebt worden sein. Es sind ja ganz andere Wortkombinationen, die Reiseredakteure wie unsereins in Alarmbereitschaft versetzen: „mit der Seele baumeln“ oder „laden zum Verweilen ein“. Ganz oben in der Brechreizliga rangieren Adjektivpaare wie „individuell maßgeschneidert“. Spätestens dann schwant dem Redakteur: Der externe Textlieferant hat den Schreibtisch nicht verlassen, sich nicht einmal die Mühe gemacht, PR-Material ordentlich zu verwursten. Sei's erstunken und erlogen. Solche Geschichten braucht es mehr. Sie lodern wie ein Kaminfeuervideo. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.