Verbrecher und Hasardeure

„Im Schatten der Karawanken“: Erwin Riess' grimmiges literarisches „Dossier“ über das Historienbiotop Kärnten.

Was Kärntner (gemeint sind so-genannte Deutsch-Kärntner) in Rage bringt, ist das Auftauchen von Ortsfremden, die alte Geschichten aufwärmen, Spuren von Kriegsverbrechen aufnehmen, Post-Nazis identifizieren oder willfährige Richter und Finanz-Hasardeure zu entlarven meinen. Aufgestochene Autoreifen sind noch die geringste Bestrafung dafür.

Freilich, die „alten Geschichten“ erweisen sich bei gründlicher Recherche im „Kärntner Jurassic Park“ als wahr. Historikern bleibt noch viel zu tun. So lange wollte Autor Erwin Riess, zwar in Wien geboren, aber auch mit Kärnten vertraut, nicht warten. Deswegen lässt er seinen Herrn Groll, wie der Autor ein Neugieriger im Rollstuhl, in vierter Romanfolge nach Kärnten reisen.

Es geht um den Job eines Sekretärs für einen Dozenten, der Familiengeschichte aufarbeiten will. Gleichzeitig soll daraus ein Kärnten-Expeditionsbericht werden, verbunden mit einer Hochzeit in Hermagor, zu der Herr Groll als Trauzeuge dazustoßen will. Da es sich um einen Kriminalroman handelt, können die verschiedenen Erzählstränge, ohne todernst zu kommen, listig aufbereitet werden. Es tauchen alle böse Schatten aus der Vergangenheit auf, ironisch gemailt von der Mutter des Dozenten, deren lustige Aufenthalte zu Kriegsbeginn im Seeschloss der Windisch-Graetz am Wörthersee (inzwischen abgerissen) alle streifen: Wehrmachtsoffiziere, SSler, Gauleiter Rainer, Odilo Globocnik leibhaftig oder Sturmbannführer Ernst Lerch (in dessen Tanzcafé in Klagenfurt Udo Jürgens, damals noch Udo Bohland, nach dem Krieg eher unschuldig die ersten Akkorde anschlug).

Dass hierorts auch der 22-jährige John F. Kennedy auftaucht, wäre bis vor Kurzem als pure Aufschneiderei erschienen. Aber da ORF-Redakteur Eugen Freund jüngst diesen Aufenthalt dokumentieren konnte, gehört auch er der Echtzeit an. Nur dass er gleich einige Nazi-Jungmädchen schwängerte, darunter möglicherweise – im Eigengeständnis – auch die Mutter des über diese Familiendiversion perplexen Dozenten, kommt eindeutig nur aus dem Kopf des Erzählers.

Slowenische Partisaninnen und Partisanen dürfen zwischendurch nicht fehlen. Sie leiten zum parallelen Erzählstrang über, in dem das Kriminalstück um die unrühmlich bekannte Kärntner Landesbank, inszeniert von einem Landeshauptmann, der Kärnten zur Drehscheibe internationaler Syndikate aufwerten wollte, die Hauptrolle spielt. Deswegen fällt der Bräutigam in Hermagor, der ein „Karawanken-Dossier“ mit allen Namen der Beteiligten erbeutet, nicht zufällig aus der Skigondel, um dann auch noch, ebenfalls nicht zufällig, unter eine Pistenraupe zu geraten. Es gibt dann noch weitere Tote, mit abgehackter rechter Hand, was an kroatisch-albanische Mafiosi denken lässt. Bei so hoher Lebensgefahr verschwindet leider das belastende Dossier.

Auch im zweiten, grimmig eingefädelten Erzählstrang, stimmt in ironischer Überhöhung eigentlich alles. Was den routiniert geschriebenen „Kriminalroman“ fast zur Historie aufwertet. Fatal nur: Keiner der Akteure am schönen Wörthersee, welcher als Magnet Kriegsverbrecher oder Finanzbetrüger samt deren Kinder anzuziehen vermag, muss Rechenschaft ablegen. Dies deprimiert den Autor, weil ihm der kathartische Schluss des Romans misslingen muss.

Vielleicht tröstet ihn, dass durch Zufall gleichzeitig zum Buch im Zentrum von Klagenfurt die ersten elf „Stolpersteine“, die an verschleppte und ermordete Juden erinnern, gesetzt wurden. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2012)

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