„schwarz und rot sind die gleichen farben“

Die späte Wiederentdeckung des originären Walter Buchebner. Viele Jahre war die Buchebner-Gesellschaft wohl bekannter als ihr Namenspatron; auch „Literaturkenner“ wussten kaum, wer da eigentlich vergesellschaftet worden war.

Viele Jahre war die Buchebner-Gesellschaft wohl bekannter als ihr Namenspatron; auch „Literaturkenner“ wussten kaum, wer da eigentlich vergesellschaftet worden war. Man wusste wohl etwas von der tragischen Biografie, vor allem vom Suizid des erst 35-Jährigen im Jahr 1964 – aber das Werk? Dieses war ja auch fast unzugänglich: Nur Buchebners Band „zeit aus zellulose“ wurde 1994 ein zweites Mal aufgelegt. Erst die von Daniela Strigl besorgte Edition ermöglicht einen neuen Blick auf diesen Autor; sie zeigt erstmals, dass die in den letzten beiden Lebensjahren in atemberaubender Geschwindigkeit entstandenen Tusche- und Ölmalereien alles andere als ein „Nebenwerk“ sind.

Sichtbar wird: Walter Buchebner war ein originärer Autor in der österreichischen Literaturlandschaft der 1950er-Jahre – international orientiert (seine Inspirationen kamen von Beat-Poeten wie Allen Ginsberg und Jack Kerouac ebenso wie von Wladimir Majakowski), suchte er nach eigenen Formen einer Lyrik, die auch zu gesellschaftlichen Diagnosen und politischer Kritik fähig ist. Er war weder an formstrenger Tradition noch an der Trakl-Nachfolge orientiert und stand auch den Sprachexperimenten der Wiener Gruppe kritisch gegenüber.

Außer zu seinem Mentor Hermann Hakel hatte er dabei vor allem zu Andreas Okopenko und Elfriede Gerstl Kontakt. Inhaltlich bewies Buchebner erstaunlichen Scharfblick, denn sein kritischer Blick auf den kapitalistischen Wiederaufbau und die Verdrängung der NS-Ära machte ihn nicht zu einem linken Verharmloser des Sowjetkommunismus. Von Anfang an sind seine Gedichte in durchgehender Kleinschreibung gehalten und interpunktionslos; ihr tragender Impuls ist der Rhythmus. Ein Blick auf die frühen Gedichte aus dem Nachlass zeigt: Während ihm inhaltlich anfangs gelegentlich noch recht konventionelle Wörter in seinen Duktus hineinrutschten – im Rhythmus war er von Beginn an sicher.

Buchebners Gedichte sind nicht im Tageslicht klassischer Poesie angesiedelt, sondern in der Nacht, der von der Romantik konstruierten Gegenwelt zu Ratio, Funktion und Alltagsgetriebe. Sie sind Warnrufe vor Abstumpfung und Konvention, und auch die Eule als Totenvogel ist eine passende Assoziation, denn Buchebners Schreiben ist durchsetzt vom Bewusstsein des nahen Todes – noch bevor seine schmerzhafte Nierenkrankheit ausbricht. Ja, Buchebners Poesie ist oft auch autobiografisch grundiert, andererseits gehen aber selbst die auf den Tod geradezu zulaufenden Tagebücher weit über persönliche Notizen hinaus. Voller Überraschungen stecken seine poetischen Manifeste, wo er „mehr kontrolliertes Gefühlund auch mehr intuitiven Intellekt“ fordert und vom „Leid als dem einzigen wirklichen religiösen Impuls“ spricht. Und er nimmt eine Wesensbestimmung von Poesie vor, die nichts von ihrer Kraft verloren hat: Sie versucht, „die Konventionskerne in andern Individuen zu zerschießen“ – und das ist für Buchebner nicht nur eine ästhetische Aufgabe, sondern es geht dabei um die persönliche Entwicklung der Individuen.

In immer neuen Anläufen umkreisen Buchebners Gedichte Wien, und in die formelhaft verknappte Stadtlandschaft schreibt er seine Diagnosen am liebsten ein; selbst sein großes Paris-Erlebnis („paris ma poésie“) schreit er dem hassgeliebten Wien als Alternative ins Gesicht. Der „wohlstands-provinzialismus“ von damals wird sichtbar, aber viel erstaunlicher ist, wie viele Diagnosen haltbar geblieben sind, wie etwa diese: „schwarz und rot sind die gleichen farben / sie tun den augen nicht weh / die männer der zweiparteien-regierung / braten ihre politischen hühnchen am grill“. Was einen vor allem in den Bann dieser Gedichte zieht, sind die Ostinatos und ihr Sound – Buchebner nennt ihn einmal „mitteleuropäische verlassenheit / mit dissonantem jazz versüßt“. Nein, Walter Buchebner braucht man nicht aus historischem Interesse heraus zu lesen (obwohl die Lektüre den Blick auf die Epoche verändert!), die besten Stücke seiner Poesie haben kein Ablaufdatum und bohren sich unmittelbar in das Ohr und in den Körper.

Unnötig zu sagen, dass Daniela Strigl über die Kenntnisse, vor allem aber auch über die Sprache verfügt, um die Poesie dieses Dichters durch Kontexte und Bezüge intensiv zum Leuchten zu bringen. Angesichts mancher Tagebuch-Notate des todessüchtig-getriebenen Autors warnt sie zu Recht vor biografistischen Kurzschlüssen: „Die schaurigschöne Anteilnahme am Lebensweg eines Extremen ersetzt dann die Auseinandersetzung mit dem Text.“

Wie viel Text es hier zum ersten Mal in Buchform zu lesen gibt, erfährt man, wenn man die „Editorische Notiz“ liest. ■


Walter Buchebner
ich die eule von wien

Gedichte, Prosa, Tagebücher. Mit 28 bildnerischen Arbeiten des Autors. Hrsg. von Daniela Strigl. 328 S., geb., € 21,90
(Edition Atelier, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2012)

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