Franz Ferdinand trifft Riff Raff

Derzeit läuft das Spielefest im Wiener Austria Center. Fünf Tipps für Familienspiele, die Besucher unbedingt ausprobieren sollten.

Der Großteil des Jahresumsatzes bei Gesellschaftsspielen konzentriert sich auf das Vorweihnachtsgeschäft. Für viele Familien ist es die passende Zeit, um gemeinsam am Tisch zu sitzen, wild zu gestikulieren, lauthals aufzuschreien oder auch nur still und leise vor sich hin zu grübeln. Es ist ein Stück heile Welt, abseits exzessiver Erlebniskultur, das sich Familien in der angeblich besinnlichsten Zeit des Jahres in die eigenen vier Wände holen wollen. Offiziell beginnt diese Zeit in Österreich mit dem Spielefest im Austria Center. Und wie jedes Jahr steht eines fest: An Angebot mangelt es nicht.

5000 Spiele können vor Ort ausgeliehen und gespielt werden. 6000 Besucher finden an unzähligen Tischen auf drei Ebenen verteilt gleichzeitig Platz. Seit 1984 hat sich das Spielefest zu einem Fixpunkt der Spielelandschaft im deutschsprachigen Raum entwickelt. Zahlreiche Verlage sind vor Ort vertreten und unterstützen so eine Veranstaltung, die dem Gemeinschaftserlebnis Spiel verpflichtet ist – verkauft wird vor Ort nicht. Wer zum ersten Mal den zentralen Saal im Austria Center Vienna betritt, ist kurzfristig sprachlos. So viele unterschiedliche Menschen an so vielen Tischen sind ein ungewöhnlicher Anblick. Es wird deutlich spürbar, dass das gemeinsame Spielen von Angesicht zu Angesicht durch kein Onlinespiel und keine Social-Media-App zu ersetzen ist. Dazu muss natürlich das passende Spiel für die jeweilige Runde gefunden werden.

Auf dem Spielefest können sich Besucher bei dieser Wahl beraten lassen. Viele ehrenamtliche Helfer, die die Veranstaltung erst möglich machen, stehen dabei mit kompetentem Rat zur Seite. Kein Wunder, handelt es sich dabei doch um Spieleverrückte im positivsten Sinn des Wortes. Familien, die sich vorab informieren möchten, bekommen durch diverse Spielepreise, wie etwa das Österreichische Spiel der Spiele, eine gute Hilfestellung geliefert. Dass dabei die eine oder andere Perle auf der Strecke bleibt, ist leider Realität. Deswegen hier also fünf ergänzende, sehr unterschiedliche und vor allem familientaugliche Neuheiten, primär für den Spieltisch, aber vielleicht auch die knappen Quadratmeter unter dem Weihnachtsbaum.

Wer es ganz klassisch und zeitlos haben möchte, sollte Activity Franz Ferdinand von Piatnik anspielen. Diesmal dreht sich alles rund um die von Thomas Brezina erdachte und von den legendären Puppenbauern der Jim Henson Company umgesetzte lila Wildsau aus dem Kinderprogramm. Wie üblich muss gezeichnet, erklärt oder pantomimisch dargestellt werden. Was an Activity – gleich, welche Inkarnation sich auf dem Tisch befindet – fasziniert, ist, wie leicht der Zugang fällt. Die Spielideen sind auch in Kombination so grundlegend ohne unnötigen Ballast umgesetzt, dass sofort losgespielt werden kann. Und der markante, freche Charakter des Franz Ferdinand passt wunderbar und unterstützt Kinder dabei, aus sich herauszugehen.

Einen ähnlich einfachen Einstieg, aber ein völlig anderes Spielkonzept bietet RiffRaff, erschienen im Zoch Verlag. Hier muss ein Holzschiff samt Mastkonstruktion von den Spielern reihum mit Material beladen werden. Der Clou bei der Sache ist, dass das Schiff auf einem Gelenk ruht und die Beladung damit unmittelbar spür- und sichtbar wird. Wer ungeschickt platziert, bringt das Schiff ins Schwanken. Schlimmstenfalls stürzt Ladung von Bord. Geschickte fangen herunterfallende Gegenstände rechtzeitig auf. Wer zuerst sein gesamtes Material auf das Schiff geladen hat, gewinnt. Riff Raff ist ganz in der Tradition des bereits legendären Bausacks – auch im Zoch Verlag erschienen –, bringt aber durch seine thematisch ungemein stimmige Umsetzung und das Element der Balance noch mehr Dynamik ins Spiel.

Weniger dynamisch, aber genauso stimmungsvoll umgesetzt ist die Winter-Edition des Klassikers Carcassonne. Der bereits über ein Jahrzehnt anhaltende Erfolg des Spiel des Jahres 2001 liegt zuallererst in seinem konstruktiven Charakter. Zwar im Wettbewerb, aber trotzdem gemeinsam entsteht auf dem Spieltisch eine wunderschön anzusehende Landschaft. Im Original liebevoll illustriert von Doris Matthäus, ist die französische Stadt diesmal in eine dicke Schneedecke gehüllt. Auch wenn das eigentliche Spiel identisch bleibt, entsteht doch ein anderes, ruhigeres Spielgefühl. Ein wunderbares Beispiel, wie viel Emotion über die Gestaltung transportiert werden kann. Im Kern geht es bei Carcassonne darum, Plättchen zu legen und die so entstehenden Gebiete – (verschneite) Wiesen, Städte, Straßen und Klöster – mit eigenen Spielfiguren zu besetzen. Ist ein Gebiet vollständig abgeschlossen, wird es gewertet.

In eine ganz andere Kerbe schlägt StickyStickz von Asmodee. Jeder Spieler versucht, mit dem namensgebenden Stäbchen – in Österreich würde man es Saugnapfsteckerl nennen – passende Plättchen zu erhaschen.

Stäbchen und Klonkrieger

Was sich simpel anhört, entwickelt sich auf dem Spieltisch zu einem ausgelassenen, dynamischen Durcheinander. Jeder Spieler würfelt zu Beginn seines Zuges, um festzustellen, welche Plättchen gefunden und mit dem Stäbchen erwischt werden müssen. Erschwerend ist, dass alle Spieler gleichzeitig spielen. Ein hektischer Ablauf ist natürlich programmiert und auch völlig beabsichtigt. Ein Reaktionsspiel für alle Altersgruppen, und mit zirka zehn Minuten Spieldauer bleibt auch Zeit für die nötige Revanche.

Wesentlich länger dauert Star Wars – Angriff der Klonkrieger von Kosmos. Zwar wird auch hier gewürfelt, aber nicht im direkten Wettbewerb, sondern kooperativ. Hinter Angriff der Klonkrieger steht das Ehepaar Markus und Inka Brandt, das sich in den letzten Jahren zu einem der produktivsten Autorenteams entwickelt hat. Und deshalb spielt sich Angriff der Klonkrieger trotz der rund 45 Minuten Spieldauer ausgesprochen flüssig und kurzweilig. Die Spieler versuchen gemeinsam mit ihren Würfeln, vorgegebene Kombinationen zu erfüllen und gleichzeitig der anrückenden Droidenarmee Herr zu werden. „Star Wars“-Freunde (und derer gibt es ja in allen Altersklassen viele) werden ihre Freude haben. Alle anderen sollten trotzdem einen Blick riskieren – gerade mit Kindern bietet Angriff der Klonkrieger einen schönen Einstieg in die Welt kooperativer Spiele.

Kreativität, Geschicklichkeit, taktisches Denken, Reaktion und Glück entweder miteinander oder gegeneinander – aus Mangel an einem passenden Spiel wird weder der Spielefestbesuch noch ein Spieleabend scheitern. Aber Spiele schenken und (viel wichtiger) spielen kann man auch außerhalb der Weihnachtszeit. Einfach so und ohne Grund. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2012)

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