Tschongel, Pflöck und der Guzi

Tirol, wer wollte es bezweifeln, ist ein ganz eigenes Land – mit ganz eigenen Spielen. Aufzeichnungen zu Kindheitserinnerungen eines Lesers.

Nach der Beschreibung von typischen Kindergeburtstagsspielen an dieser Stelle vor einiger Zeit erreichte mich als Reaktion ein sehr netter Leserbrief aus Tirol, in dem der Verfasser diesen Text lobte. Es folgte ein E-Mail-Wechsel, der Interessantes zutage förderte – und das Ergebnis wird nun nachfolgend präsentiert: Dies ist der Auftakt einer dreiteiligen Serie über diverse Kinderspiele im Freien.

Den Anfang macht nun Teil eins der Spiele von anno dazumal, die aufgrund der Fülle in zwei Teilen beschrieben werden – mit großem Dank an Heinrich Schweizer, der für die meisten Spiele sogar eigens Zeichnungen zur besseren Veranschaulichung angefertigt hat. Für jegliche Schreibweise übernehme er die volle Verantwortung, sicherte er mir außerdem zu. Also schauen wir einmal, wie es sich mit den Tiroler sprachlichen und spielerischen Eigenheiten so verhält.

Als Erstes beschreibt Herr Schweizer das Spiel Tschongelen, ein Geschicklichkeitsspiel für Kinder um die zwölf, 13 Jahre, das sich sogar zuweilen noch im Internet finden lässt. Bezüglich Begriffserklärung meinte er, dass das Wort eventuell von „jonglieren“ abstamme, da ja Steine geworfen und aufgefangen werden. Man braucht nun dazu fünf glatte Steine (kleiner als eine Walnuss, größer als eine Haselnuss), weiters einen Tisch oder eine andere glatte Fläche. Erste Übung: Der Spieler wirft alle fünf Steine möglichst zerstreut auf den Tisch. Dann nimmt er einen, wirft ihn in die Höhe, nimmt mit derselben Hand einen anderen Stein vom Tisch und fängt mit der gleichen Hand den hochgeworfenen Stein auf. Zweite Übung: Wieder werden alle fünf Steine auf den Tisch geworfen. Diesmal muss der Spieler, nachdem er einen in die Höhe geworfen hat, zwei Steine vom Tisch aufnehmen und dann den hinaufgeworfenen Stein auffangen. Dasselbe muss er auch mit dem zweiten Steinpaar machen. Dritte Übung: Diesmal nimmt er zuerst einen Stein auf, danach die restlichen drei.

Bei Übung zwei und drei kommt es sehr darauf an, dass man die Steine so geschickt wirft, dass man eine Zweiergruppe oder Dreiergruppe mit einer raschen Wischbewegung erfassen kann. Hat der Spieler alle drei Übungen bewältigt, kann er jetzt Punkte machen. Er wirft alle fünf Steine in die Luft, natürlich so niedrig wie möglich, und versucht, so viele, wie er kann, mit gespreizten Fingern mit seinem Handrücken aufzufangen. Angenommen, er hat drei Steine auf dem Handrücken: Nun muss er die drei Steine hochwerfen und versuchen, möglichst alle aufzufangen. Nur die aufgefangenen Steine zählen jeweils einen Punkt. Macht ein Spieler bei einer der drei ersten Übungen einen Fehler, kann der nächste Spieler beginnen.

Ein weiteres Spiel nennt sich Pflöckeln und ist ein recht actiongeladenes Spiel für schnelle Läufer. Es kann nur auf weichem Boden oder einer Wiese mit kurzem Gras und paarweise gespielt werden. Die beiden Spieler benötigen je einen runden Pflock (gerade und ohne Äste, unten zugespitzt) von etwa dreißig Zentimeter Länge mit einem Durchmesser von drei Zentimetern. Spieler eins wirft seinen Pflock auf den Boden, sodass dieser in der Erde stecken bleibt. Spieler zwei versucht sodann, seinen Pflock so nahe wie möglich an den ersten Pflock zu werfen und diesen auszuhebeln. Gelingt ihm dies, und der Pflock des Gegners liegt flach auf dem Boden, muss er versuchen, seinen Pflock so knapp neben den Pflock des Gegners zu werfen, sodass dieser zur Seite geworfen wird, und zwar mindestens zwei Finger breit. Natürlich muss dabei der Pflock des zweiten Spielers im Boden stecken. Schafft er das nicht, ist wieder Spieler eins an der Reihe.

Indes nimmt Spieler zwei den Stock des Gegners und gibt eine Zahl an, beispielsweise zwanzig. Dann wirft er den Stock so weit weg, wie er kann. Spieler eins muss nun loslaufen und den Stock holen. In der Zwischenzeit muss Spieler zwei seinen eigenen Stock zwanzigmal (beziehungsweise die angegebene Zahl) in den Boden werfen, sodass er bei jedem Wurf im Boden stecken bleibt. Fällt der Pflock nur ein Mal um, hat er schon verloren. Spieler eins versucht natürlich, so schnell wie möglich zurückzukommen. Ist er wieder zurück und wirft seinen Pflock in die Erde, bevor der andere Spieler laut zählend seinen Stock zwanzigmal in die Erde geworfen hat, hat Spieler zwei verloren, und Spieler eins kann sich zwanzig Punkte gutschreiben.

Der Guzimann – ein Begriff, der im Tirolerischen einen Wächter bezeichnet – nennt sich ein Wurfspiel für etwas ältere Kinder. Zuerst werden die Gefängnisgrenze (ein Halbkreis) und die Wurflinie festgelegt. Dann nehmen die Spieler an der Wurflinie Aufstellung, und jeder wirft seinen Stein (einen handgerechten flachen Stein wie beim Plattenwerfen) so nahe wie möglich an die Konservendose. Der Besitzer – oder besser: Werfer jenes Steins, der am weitesten entfernt liegt, ist der erste Guzimann.

Im Gefahrenkreis des Guzimanns

Eine Konservendose wird nun mit einem x-beliebigen Stein bestückt. Ein Spieler nach dem anderen wirft seinen Stein mit dem Ziel, die Dose zu treffen und den darauf liegenden Stein irgendwo in die Gegend zu befördern. Jeder Spieler begibt sich nach seinem Wurf zu seinem Stein, den er nicht berühren darf. Berührt er ihn doch, kann ihn der Guzimann innerhalb des Halbkreises abklatschen und zum neuen Guzimann machen.

Der Hauptspaß des Spiels besteht darin, den Guzimann möglichst lange im Dienst zu halten. Jeder, der dem Gefahrenkreis entkommen ist, darf seinen Stein erneut werfen. Trifft er die Konservendose, muss der Guzimann den Stein holen, die Konservendose am gleichen Platz wieder aufstellen und den Stein darauflegen. Solange dies nicht geschehen ist, kann jeder Spieler unangefochten den Gefahrenkreis verlassen. Ganz spannend wird das Spiel, wenn niemand die Dose getroffen hat. Jetzt wird es schwierig, den Gefahrenkreis mit seinem Stein zu verlassen, denn der Guzimann wacht natürlich an der Grenze. Die Spieler versuchen, ihn zu täuschen, indem sie scheinbar nach dem Stein greifen, ihn dann aber doch nicht berühren und so den Guzimann ablenken. Das gibt einem anderen Spieler die Möglichkeit, zu entkommen und vielleicht mit seinem nächsten Wurf die Dose zu treffen und damit die Gefangenen zu erlösen.

Das war nun der erste Teil einer Trilogie, in der wir alte Tiroler Kinderspiele präsentieren. In Teil zwei werden nächste Woche weitere dieser früher typischen Spiele beschrieben. In zwei Wochen folgen sodann Spiele, die von Gruppen von Kindern gern in den 1980er-Jahren gespielt wurden. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2013)

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