Über Stock und Eis

Eisstockschießen gehört zu den Winterklassikern in Österreich: als Volkssport auf gefrorenen Teichen und Seen wie auch im Wettkampf auf präparierten Kunstbahnen. Außergewöhnlich gut dirigieren die heimischen Schützen den Stock übers Eis und geben weltweit den Takt vor.

Auf Eis bewahren sie ohne Schlittschuhe Haltung. In erster Linie zeichnet die Schützen aber ihr Schwung mit einem Spielgerät aus, das auf den heimischen, gefrorenen Sportterrains nicht mehr wegzudenken ist: dem Eisstock. Kraft, Ausdauer und eiskalte Präzision legen Österreichs Turnierschützen an den Tag. Sie bilden im Eisstockschießen weltweit das Maß aller Dinge.

Traditionell kommt man in vielen heimischen Familienkreisen am Eisstock einfach nicht vorbei. Zumeist geht die Leidenschaft zum Stocksport von einer Generation zur nächsten über. So auch im Fall von Bettina Eckerstorfer, die früh durch ihre Eltern auf den rot-weiß-roten Volkssport aufmerksam wurde. „Wir haben schon als Kinder auf dem gefrorenen Teich mit Holzstöcken gespielt“, erzählt Eckerstorfer. Die Oberösterreicherin blieb von da an eng mit dem Sport verbunden, vom Teich ging es bald auf präparierte Eisbahnen, aus dem Hobbyholzstock wurde mit der Zeit ein rund fünf Kilo schweres Wettkampfteil. Und dieses beherrscht Eckerstorfer heute wie nur wenige im Stockgenre. Im Vorjahr holte die 36-Jährige mit dem österreichischen Nationalteam den Weltmeistertitel im Mannschaftsbewerb. In dieser Disziplin versuchen zwei Viererteams, ihre Eisstöcke auf einer 30 Meter langen Eisbahn so nah wie möglich an die Daube, einen beweglichen Gummiring von zwölf Zentimetern Durchmesser, heranzubringen.

„Für mich ist mit dem WM-Titel ein Traum in Erfüllung gegangen“, sagt Eckerstorfer, die seit Jugendjahren bei der Sportunion St. Peter am Wimberg den Stock schwingt. Als größten Motivationsfaktor in ihrer Karriere nennt die amtierende Teamweltmeisterin ihren Bruder, der sie näher an den Wettkampf mit dem Eisstock heranführte und Anfang der 1990er-Jahre im Nationalkader der unter 16-Jährigen große Erfolge feiern konnte. „Ein Jugendnationalteam hat es damals für Mädls noch nicht gegeben. Und als mein Bruder regelmäßig mit Medaillen und Pokalen nach Hause gekommen ist, hab ich mir gedacht: Das möchte ich auch einmal.“ Mit 18 rückte Eckerstorfer schließlich in den Damennationalkader vor; seither ist sie eine Fixkraft im österreichischen Team.

Eisstockschießen ist einerseits ein leistungsmäßig betriebener Präzisionssport, andererseits ein beliebtes Freizeitspiel, und besonders im Alpenraum hat es eine lange Tradition. In Österreich zählt es zu den ganz großen Winterklassikern. Das Eisstockspiel verbreitete sich in Mitteleuropa etwa im 16. Jahrhundert und zieht hierzulande auf zugefrorenen Teichen und Seen nach wie vor Massen an. „Bei uns kommen die Leute regelmäßig zum Stockschießen zusammen, da trifft sich so gut wie die ganze Gemeinde“, weiß Bettina Eckerstorfer, die in der 600-Seelen-Gemeinde Auberg im oberen Mühlviertel wohnt. „Das kann einfach jeder machen. Da spielen Zehnjährige gemeinsam mit ihren Großeltern.“

Wettkampfmäßig greifen Vereinsschützen nicht zu einem hölzernen Spielteil, sondern zu zerlegbaren Stockwerken. Stiel, Stockkörper und Laufsohle formen die drei Bestandteile des turnieradäquaten Eisapparats. Allein bei der Gleitfähigkeit des Eisstocks gibt es viele wichtige Nuancen zu beachten. Thomas Fuchs gilt derzeit als bester Eisstockschütze des Planeten, bei der WM im bayerischen Waldkraiburg räumte er zwei Goldmedaillen ab. Die Beschaffenheit des Stockunterteils, sprich: der Laufsohle, sei ein entscheidender Aspekt in der Spielkonfiguration, so Fuchs. Der Salzburger vom Verein USC Abersee weiß, wie wichtig die individuelle Abstimmung mit dem Eisstock ist. Laufsohlen können „ganz schnell bis ganz zäh“ präpariert sein, zusätzlich beeinflusst die Größe der Lauffläche das Kippverhalten des Stocks im Zielbewerb.

In dieser Disziplin, in der Fuchs bei der WM 2012 im Team und im Einzel triumphiert hat, gilt es, vier unterschiedliche Teilbewerbe zu absolvieren. Im ersten Durchgang visieren die Schützen auf dem Eisboden punktebringende Zielringe an. Danach versuchen sie einen Zielstock aus dem ringförmigen Zielfeld zu schießen, gleichzeitig aber ihren Stock im Punktekreis zu belassen. Im dritten Durchgang werden zwei Ringe am linken und rechten Bahnende angepeilt. Im Schlussabschnitt heißt es, sowohl den eigenen Spiel- als auch den zu treffenden Zielstock punktgenau zu bewegen. „Im Zielbewerb gibt es vier konträre Aufgaben. Da muss man sehr vielseitig sein. Und da kommt es sehr viel auf Gefühl an“, so Fuchs. Ein gutes Händchen beweisen Österreicher in allen Sparten des Eisstockschießens: neben dem vierteiligen Zielwettbewerb im Team- und Einzelmodus, dem Mannschaftsfight um die Bestlage zur Daube auch im Weitenwettbewerb. Hier steht nicht Präzision, sondern die Beschleunigung des Eisstocks im Fokus.

Rot-Weiß-Rot hat die Nase vorn

Das internationale Kräftemessen dominiert Rot-Weiß-Rot fast nach Belieben. Bei den letzten vier Weltmeisterschaften ließen die heimischen Athleten die Konkurrenz um einige Meter hinter sich. Auch deshalb zählt Österreich im Eisstocksport zu den Hochburgen. Für vergoldete Topleistungen à la Eckerstorfer und Fuchs ist Trainingsdisziplin gefragt – und das im Winter auf der Eisbahn und im Sommer auf Asphalt. Die Laufsohle an den Stöcken ist je nach Untergrund austauschbar, auf der Asphaltbahn ersetzt ein Kunststoffbelag die eiserprobte weiche Gummischicht an der Unterseite des Stocks.

„Mich fasziniert das Herumtüfteln am Material“, sagt Patrick Solböck. Der 16-jährige HTL-Schüler krönte sich bei der WM im Vorjahr in seiner Altersklasse zum dreifachen World Champion. An allen drei Bestandteilen des Eisstocks gibt es für Solböck etwas zu feilen: bei den Radien der Laufsohle, dem Stockkörper aus Edelstahl, den unterschiedlichen Schwerpunkten beim Stiel. Das perfekte Handling mit seinem Eisstock brachte dem Niederösterreicher auch vier EM-Titel. Solböck spielt im Verein ESV Wang. Mit sieben holte Solböck zum ersten Mal zum Schuss aus, mit einem etwas leichteren Kinderstock bewies er sein Talent. „Ich bin mit meinem Vater mitgegangen, hab es ausprobiert, und es hat mir gleich getaugt.“ Was für den erfolgreichen Youngster einen guten Eisstockschützen ausmacht? „Eine ruhige Hand, Genauigkeit und mentale Stärke.“ Und diese Fähigkeiten möchte Solböck auf dem Eis auch künftig für sich nutzen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2013)

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