Lobby für die Spieler

Der US-Spielekonzern Activision Blizzard hat eine Lobbyagentur beauftragt, um den Forschungsauftrag des Kongresses zum Zusammenhang zwischen Gewaltspielen und realer Aggression zu beeinflussen.

Wenn man als Unternehmen einmal in die Situation kommt, eine eigene Lobbyagentur zu beauftragen, um die amerikanische Gesetzgebung zu beeinflussen, darf man davon ausgehen, dass man es ziemlich in die Oberliga seiner Industrie geschafft hat. Das trifft auf den kalifornischen Konzern Activision Blizzard, neben Electronic Arts und Nintendo einer der größten Spielehersteller der Welt, zweifellos zu.

Activision Blizzard, das mit PC- und Konsolenspielen im Jahr 2012 einen Umsatz von 4,9Milliarden US-Dollar gemacht hat – vor allem mit den Schießspielen der „Call of Duty“-Reihe und den beliebten Fantasy-PC-Marken wie „(World of) Warcraft“ oder „Diablo“–, ist erst seit Kurzem wieder ein eigenständiges Unternehmen: Am 25.Juli hat die Firma angekündigt, 429Millionen eigener Aktien von dem französischen Unterhaltungskonzern Vivendi kaufen zu wollen – der Eigentümeranteil der Franzosen wird damit bis Ende September von beherrschenden 63 auf lediglich zwölf Prozent fallen.

Beherrschender Eigentümer von Activision Blizzard wird dann CEO Bobby Kotick sein, der mit einigen anderen Vorstandsmitgliedern und externen Investoren ein Viertel der Anteile an der Gesellschaft hält – neben dem Vivendi-Anteil liegt die Gesellschaft damit in Streubesitz.

Verbote stehen im Raum

So viel zur Ausgangssituation vonseiten des Unternehmens. Demgegenüber steht die US-Innenpolitik: Während Überlegungen, gewalttätige Computerspiele zu verbieten bzw. ihren Einkauf zumindest auf Volljährigen zu beschränken, hierzulande allenfalls als Skurrilität der einen oder anderen Kleinpartei auftauchen, sind solche Erwägungen in mehreren US-Staaten regelmäßig an der politischen Tagesordnung. Zuletzt flammte die Debatte bundesweit wieder nach dem Amoklauf an der Sandy-Hook-Grundschule in Connecticut im vergangenen Dezember auf, in der der 20-jährige Adam L. 20 Kinder und sieben Erwachsene getötet hatte, bevor er die Waffe gegen sich selbst richtete. Der Täter wurde in der Folge als Einzelgänger beschrieben, der viel Zeit mit Videospielen zugebracht hatte – vor allem mit der „Call of Duty“-Reihe, einer weltweit extrem erfolgreichen, inhaltlich im US-Militärumfeld angesiedelten Serie geistloser Schießspiele mit Spitzengrafik.

US-Präsident Barack Obama kündigte in der Folge – anstatt den Forderungen, vor allem von republikanischer Seite, derartige Spiele generell zu verbieten, Folge zu leisten– an, ein neues Forschungsprojekt ins Leben zu rufen, das den Zusammenhang zwischen gespielter und realer Gewalt erkunden soll. Einen entsprechenden Auftrag an das US-Center for Disease Control (CDC), das die Ursachen gewalttätigen Verhaltens in Medien wie Filmen, TV-Serien und Spielen erforschen sollte, avisierte Obama im Jänner dieses Jahres.

Das ist – auch aus Sicht von Spielern, die das Medium ihres Vertrauens durch den Vorwurf der Motivation zu Gewalttaten angegriffen sehen – durchaus erfreulich. Eine systematische, groß angelegte Studie zum Zusammenhang zwischen fiktiv erlebter und real ausgeübter Gewalt gab es bisher nicht; es lassen sich, je nach Auftraggeber, die unterschiedlichsten Studienergebnisse finden: vom Beleg, dass Spiele harmlos sind, bis zu Studien, die einen eindeutig gestiegenen Aggressionspegel nach dem Genuss von Schießspielen belegen.

Selbst neutrale universitäre Forschungen zu diesem Thema (etwa die 2010er-Studie „Vulnerability to Violent Video Games: A Review and Integration of Personality Research“ der US-Psychologen Patrick und Charlotte Markey) haben bisher das Bild gezeigt, dass Gewaltspiele sehr wohl einen Einfluss auf unser Aggressionsverhalten haben – allerdings nur dann, wenn bereits eine in diese Richtung geartete individuelle Prädisposition vorliegt. Also, vereinfacht gesagt: Wer von Natur aus aggressiv wird, kann durch den Konsum von Gewaltspielen noch aggressiver werden; auf nicht aggressive Gemüter haben diese dagegen keinen Einfluss.

Forschung wäre dringend nötig

Kompetente Forschung in diesem Bereich wäre also dringend notwendig – aber die Mühlen der US-Gesetzgebung mahlen langsam: Seit Jänner ist der „Violent Content Research Act of 2013“ in der bürokratischen Warteschleife des US-Kongresses. Der vom demokratischen Senator Jay Rockefeller eingebrachte Vorschlag sieht vor, dass die National Academy of Sciences von der US-Regierung den Auftrag erhält, die von Obama angekündigten Forschungen einzuleiten – besonders also die Wirkung von „violent video games“ auf Kinder zu erkunden.

Den Vorschlag hat am 30.Juli der zuständige Ausschuss dem Plenum des Senats übermittelt, bei dem er jetzt darauf wartet, zur Abstimmung angesetzt zu werden. Unter anderem soll die solcherart beauftragte Studie dem Ziel „Identify gaps in the current state of research which, if closed, could provide additional information regarding any causal connection on violent gaming and aggressive behavior“ dienen.

Und hier kommt wieder Activision Blizzard ins Spiel: Nachdem die US-Jugend eine wichtige Kundengruppe für den Konzern darstellt, dürfte dessen Interesse an der staatlichen Forschung groß sein. So groß, dass Activision Blizzard, wie die „Washington Post“ diese Woche berichtet hat, schon im August die Dienste von Akin Gump Strauss Hauer & Feld gebucht hat, um auf den „Violent Content Research Act“ Einfluss zu nehmen – das ist eine der größten Lobbyagenturen der Vereinigten Staaten.

Welcher Einfluss das sein könnte, zählt zu den größten Rätseln, die die Spieleindustrie derzeit beschäftigen – letztlich dürfte es aber um die genaue Definition des Forschungsauftrags gehen, mit dem die US-Regierung die Wissenschaft betrauen wird. Denn davon – vor allem von der Definition des „violent game“ – könnten am Ende die Ergebnisse abhängen, und damit auch die Frage, ob einzelne Staaten bestimmte Videospiele verbieten oder eine Sondersteuer für „gefährliche“ Spiele einheben.

Spätestens dann, wenn es um das Kapital der Videospielkonzerne geht, sind diese gezwungen, „erwachsen“ zu werden – und mit jenen Mitteln zu kämpfen, die man normalerweise klassischen Industriebetrieben oder Banken zuschreiben würde. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2013)

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