Es fliegen die Fetzen in A-Dur

Hier ist Berlin. Hier ist es Oktober. Wir sind im Konzertsaal der Philharmonie. Versammelt sind,neben dem gesamten Orchester, ein Berliner und ein Mann aus der Ukraine.

Hier ist Berlin. Hier ist es Oktober. Wir sind im Konzertsaal der Philharmonie. Versammelt sind,neben dem gesamten Orchester, ein Berliner und ein Mann aus der Ukraine: Ersterer, der Ältere, empfindet des anderen Anschlag als zu hart. Dieser andere jedoch, ein junger Pianist, ein „Tornado der Steppe“, wie amerikanische Kritiker ihn genannt haben, Kontraste liebend, technisch stupend sicher, lässt sich keineswegs beirren. Liebt es der Ältere, als Dirigent zu „glätten“, wie ein gern und oft gebrauchter Terminus von ihm lautet, so will sich der Jüngere partout nicht glätten lassen. Was nun aber, wenn ein Solist sich nicht glätten lässt? „Wir spielen das hier nicht wie die Virtuosen in Amerika!“, schreit der Dirigent. Zu schlechter Letzt haut der junge Solist den Klavierdeckel zu,als der Dirigent ihm nämlich eine Stelle aus Liszts A-Dur-Konzert vorzuspielen gedenkt, was natürlich vor dem versammelten Orchester einen Affront sondergleichen darstellt.

Der eine also haut den Klavierdeckel zu, und auch der andere, der Ältere, der Dirigent, beachtet in den seltensten Fällen, was „guter Ton“ ist: Oftmals mutet sein Widerspruch säuerlich besserwisserisch und zäh querulantisch an. Unser Solist jedenfalls hat ihn einmal spöttisch als „Mister Missverständnis“ und „Doktor hypophysis causa“ bezeichnet. – Was der Pianist des Weiteren bei den Proben zu dem Konzert in der Berliner Philharmoniescharf kritisiert, ist des Dirigenten Programmzusammenstellung: Auf Bruckners Neunte folgen der junge Pianist mit Liszt und Tschaikowskys „Romeo und Julia“. Der Pianist ist entsetzt, als er von diesem „Mischmasch“ erfährt.

Die beiden Meister prallen im Jahrdarauf noch einmal sensationell heftigzusammen, in den USA, der Wahlheimat des Jüngeren; diesmal ist Brahms die Ursache (B-Dur-Konzert). – Wenige Jahre später entfernen sich die beiden denkbar weit voneinander: Nicht nur musikalisch liegen nun Welten zwischen ihnen. Der Dirigent – dessen Renommee durch seine Aktivitäten als Homo politicus während der Nazijahre schweren Schaden genommen hat – liegt heute auf dem Heidelberger Bergfriedhof begraben; der Pianist,1989 hochbetagt gestorben, wurde in der Familiengruft seines Schwiegervaters – übrigens eines nicht minder bekannten Musikers – in Mailand bestattet. ■

Wer traf wen? Wer ist der Schwieger-
vater des Pianisten?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2014)

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