Dreimal neu

Mittlerweile sind fast alle Brettspielneuheiten, die Anfang des Jahres auf der Spielwarenmesse in Nürnberg vorgestellt worden sind, im Handel. Jeder Spielegeschmack wird bedient, aber es ist schwer, das passende Spiel aus der Neuheitenflut herauszufiltern. DreiEmpfehlungen nach ansteigendem Schwierigkeitsgrad.

"Burgenland" von Inka und Markus Brand zeigt wieder einmal eindrucksvoll das Spektrum des umtriebigen Autorenehepaars. Bei diesem Kartensammel- und Bauspiel geht es zur Abwechslung einmal nicht darum, die meisten Siegpunkte (oder Prestigepunkte oder Geld) zu sammeln, sondern als erster Spieler alle eigenen Bauwerke auf dem Spielplan unterzubringen. Dazu müssen reihum Karten gesammelt werden. Wer ausreichend farblich zur jeweiligen Burg passende Karten gezogen hat, darf Mauer, Haus, Palas oder Brunnen bauen. „Burgenland“ erinnert vom Spielgefühl her an das Spiel des Jahres 2004 namens „Zug um Zug“. Sehr vertraut wechselt der Spielrhythmus zwischen Kartennachziehen und Kartenausspielen.

Daraus ergibt sich ein grundlegendes und reizvolles Dilemma: Warte ich noch eine Runde und stocke dafür meine Kartenhand auf, oder nutze ich die Möglichkeit und baue, was gerade passt? Ganz wahllos dürfen die verschiedenen Bauwerke nämlich auch nicht platziert werden. So einfach die Grundregeln des Spiels sind, die Bauregeln zu jedem Bauwerkstyp sind unerwartet verwoben. Wann was wo gebaut werden darf, hängt auch davon ab, was wo bereits wie oft gebaut wurde. Diese Regeln fühlen sich im Kontrast zum sehr eingängigen Ablauf etwas kleinteilig an, gehen aber bereits nach ein, zwei Runden problemlos von der Hand und stellen auf den zweiten Blick den eigentlichen Reiz des Spiels dar. Nach der ersten Partie weiß jeder, worauf geachtet werden muss, wie die Bauwerke aufeinander wirken, und vor allem, welche Fehler beim Spiel gemacht worden sind. Eine Revanche ist also fast obligatorisch. „Burgenland“, erschienen im Ravensburger Verlag, ist für Familien und Kinder ab neun Jahren geeignet.

Ab zehn Jahren gut spielbar ist „Istanbul“ von Rüdiger Dorn, erschienen bei Pegasus. Zwei bis vier Spieler versuchen, möglichst schnell an eine vorgegebene Anzahl von Edelsteinen zu kommen. Dabei fühlt sich der Spielablauf von „Istanbul“ ungewöhnlich frisch an. Dies hängt aber weniger mit den Mechanismen zusammen – viele sind aus Dorns früheren Spielen bekannt und bewährt – als vielmehr mit der spielerischen Konkurrenz.

Ausnahmsweise findet sich der aktuelle Lieblingsmechanismus vieler Spieleautoren nur in abgewandelter Form wieder. Der Arbeitereinsetzmechanismus folgt der einfachen Prämisse, dass gewisse Aktionen durch Einsetzen einer Spielfigur aktiviert werden. Dadurch bleibt die Grundstruktur eines Spiels einfach, aber die Auswirkungen durch die Aktionsfelder können mannigfaltig und ausgesprochen komplex sein. Bei „Istanbul“ bewegen sich die Arbeiter aber über das Spielfeld. Wer ein neues Feld betritt, muss entweder einen seiner Mitarbeiter zurücklassen oder einen von einem vorhergehenden Besuch vorhandenen wieder mitnehmen. Es geht also vorrangig um schlaue Wegplanung.

Frisch bleibt dieses Konzept durch eine zufällige Anordnung der verschiedenen Aktionsfelder. Zwei dieser Felder sind angenehm unkorrekt, da Würfel als Risikoelement zum Einsatz kommen. In der Teestube wird um Lira gezockt, und auf demSchwarzmarkt weiß keiner, was er schlussendlich bekommt. Vielspieler schlagen naturgemäß entrüstet die Hände über dem Kopf zusammen. Thematisch ist dieses Element aber ausgeklügelt und unterstreicht den Kontext.

So bunt gemischt wie ein Basar kommt „Istanbul“ spielerisch daher. Die vielen einfachen Mechanismen werden durch die Spielfelder aktiviert: Hier werden Waren produziert, dort verkauft, alles bewegt sich, ständig ändern sich die Rahmenbedingungen. Und so ergibt auch die Komponente der Wegplanung thematisch Sinn: Nur wer trotz des Treibens einen kühlen Kopf behält, wird die nötigen Edelsteine sammeln können. Aber gerade weil „Istanbul“ so originell abgemischt ist, könnte es in seiner Buntheit fast noch eine Spur mutiger sein.

Eher konventionell komponiert ist hingegen „Helios“ von Martin Kallenborn und Matthias Prinz, erschienen im Verlag Hans im Glück. Die empfohlenen zehn Jahre dürfen bei dem komplexesten der hier vorgestellten Spiele ruhig auf zwölf hochgesetzt werden. Thematisch wirkt „Helios“ noch exotischer als „Istanbul“, geht es doch um einen Sonnenkult, der auf einer namenlosen Hochebene seine eigene kleine Welt erschaffen möchte. Jeder Spieler hat dazu ein Tableau, auf dem mit der Zeit Landschaften und Tempel platziert werden. Landschaften generieren Rohstoffe, Tempel Siegpunkte, aber nur, wenn die titelgebende Sonne die entsprechenden Felder auch bescheint. Dazu dürfen die Spieler die eigene Sonne (sic!) ein oder mehrere Schritte auf dem Plan bewegen.

Ein riesiger Spielplatz

Eingebettet ist dieses Kernelement in zahlreiche fast schon zu bewährte Randmechanismen, die bisweilen den Blick auf die sehr reizvolle und neue Grundidee versperren. Trotzdem ist diese Vielzahl aber nötig, um aus „Helios“ den riesigen Spielplatz zu machen, den sich die Spieler erwarten. Im Gegenzug wurde die Interaktion auf ein Minimum reduziert. Lediglich über die gemeinsame Auslage an möglichen Aktionen, Personen und Landschaften kommen einander die Spieler in die Quere. Aber auch wenn ein Mitspieler das angepeilte Plättchen wegschnappt, ergeben sich genug sinnvolle Alternativen. Am stärksten spielt sich Helios zu zweit. Die Wartezeiten sind angenehm kurz, und die Planung kann noch vorausschauender erfolgen als beim Drei- oder Vierpersonenspiel. Für alle Spielerzahlen gilt, dass nach vier Runden Schluss ist und die Siegpunkte gezählt werden. Dann zeigt sich, ob die unterschiedlichen Stoßrichtungen der Spieler zielführend waren.

Zwar mittlerweile Standard, aber dennoch erwähnenswert: Alle Spiele sind wunderbar illustriert, traumhaft ausgestattet, und die Regeln lassen keine Fragen offen. Ob sich einer der Titel auf der Empfehlungs- oder Nominierungsliste zum „Spiel des Jahres“ (oder „Kennerspiel des Jahres“) wiederfindet, wird sich am 19.Mai zeigen. Auch oder gerade weil innovative Ideen bisher nicht aufgetaucht sind, ist die diesjährige Konkurrenz groß. Vieles kommt bekannt vor, das meiste ist bewährt. Wer möchte, darf also auf hohem Niveau jammern. Alternativ kann aber auch der aktuelle Jahrgang einfach genossen werden. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.