Treffer: Nachbar, mehr Zucker!

Auf dem bescheidenen Dorfbahnhof nahe dem Schloss steht eine Kompanie stramm. Der Gastgeber, immerhin Präsident einer ganzen Republik, wartet auf dem verschneiten Perron.

Auf dem bescheidenen Dorfbahnhof nahe dem Schloss steht eine Kompanie stramm. Der Gastgeber, immerhin Präsident einer ganzen Republik, wartet auf dem verschneiten Perron. Es ist nicht die erste hohe politische Begegnung, die diese kleine Bahnstation zu sehen bekommt. Über dem Portal des geräumigen Schlossquartiers inmitten weiträumiger Parkanlagen prangt seit Kurzem ein doppelschwänziger Löwe anstelle des fürstlichen Wappens. Die Republik ist noch sehr jung.

Die Gastdelegation kommt aus dem südlichen Nachbarland, ebenfalls einer jungen Republik. Jahrhundertelang warendie beiden Länder aufs Engste miteinander verbunden: Sie gehörten einer großen Monarchie an, die nun, nach einem großen Krieg, zerfallen ist. Noch immer ist das Verhältnis nicht gänzlich ungetrübt, doch keine einzige Zeitung des Gastlandes hat nun zu der Visite unhöfliche Worte gefunden.

Gleich nach der Ankunft der Gäste beginnen in den Räumlichkeiten des Schlosses die Verhandlungen. Worum geht's? Um Ein- und Ausfuhrverbote, um Schiedsgerichtsverträge und Transitverkehr. „Das Soldatenspielen muss endlich aufhören!“, so der Gastgeber. Der Bundeskanzler des Nachbarlandes meinte, die Konfliktstimmung sei einer Atmosphäre des Vertrauens gewichen.

Ein Vertrag wurde abgeschlossen, der dem Land des Gastes einen Kredit von 500 Millionen Kronen sicherte sowie die dringend benötigten Kohle- und Zuckerlieferungen. Der Gast garantierte dafür dieNeutralität seines Landes und die Einhaltung der Friedensverträge nach dem großen Krieg. Etwaige Zwistigkeiten sollten dem Schiedsgericht eines Völkerbundes zur Schlichtung vorgelegt werden.

Der Gast gestand bloß zu, was sein Land ohnehin tun musste.Es hatte weder die Möglichkeit, den Friedensvertrag zu revidieren, noch hätte es die Kraft besessen, militärische Konflikte für seine Interessen auszunützen. Dennoch hat das Abkommen im Heimatland des Besuchers Kritik hervorgerufen, und der Bundeskanzler ist wenig später, im darauffolgenden Frühjahr, von seinem Amt zurückgetreten. Fünf Jahre später hat er als hauptstädtischer Polizeipräsident für schmähliche Schlagzeilen gesorgt. Sein einstiger Gastgeber wurde in ebenjenem Jahr als Staatspräsident wiedergewählt. ■

Wer traf wen? Von welchen Schlagzeilen
ist die Rede?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.