Aus Erfahrung wird man Feind

Spieltheoretische Auswertun-gen einer US-Fernsehshow verdeutlichen, wie Altruisten mit Egoisten umzugehen lernen – zum Schaden für die Gruppe als Ganzes.

Ein echtes Dilemma: Stellen Sie sich vor, Sie spielen in einer Gewinnshow im Fernsehen mit und haben gemeinsam mit einem Unbekannten durch das Beantworten von Quizfragen einen Betrag von, sagen wir, 20.000 Euro erreicht. Und jetzt müssen Sie entscheiden, ob Sie das ganze Geld für sich alleine wollen oder mit ihrem Partner halbe-halbe machen. Ihr Partner steht vor derselben Entscheidung. Jeder drückt für sich, ohne dass der andere es sehen kann, einen Freund-Knopf, wenn man teilen möchte, oder einen Feind-Knopf, wenn nicht. Und das Perfide dabei: Drücken beide Freund, wird geteilt, und jeder geht mit 10.000 Euro nach Hause. Drücken beide den Feind-Knopf, bleibt das Geld im Studio, und beide gehen leer aus. Drückt aber jeder etwas anderes, dann bekommt der Feind-Drücker das ganze Geld und der andere nichts. Was tun Sie also?

Spieltheoretiker nennen so etwas ein „Gefangenendilemma“ (weil es ursprünglich als Entscheidungssituation von Häftlingen – soll ich gestehen oder nicht? – konstruiert wurde). Amerikanische Fernsehspezialisten nennen das „Friend or Foe“ und wissen auch, wann die Show gelaufen ist: von Sommer 2002 bis 2003, in 105 Folgen. Mittlerweile liegen zwei wissenschaftliche Studien von Professoren der Universität Chicago, der Harvard Business School und der Wharton School vor, die anhand dieses Fernsehspiels und seiner 630 Teilnehmer Beobachtungen über das eigennützige oder habgierige Verhalten der Menschen anstellen.

Erstes interessantes Resultat: Fast die Hälfte der Teilnehmer entschied sich fürs Teilen. Das ist mehr, als es für gewöhnlich in Laborexperimenten beobachtbar ist, wo man meist Studenten vor ähnliche Entscheidungen stellt und wo im Schnitt nur ein Drittel so handelt. Das wird unter anderem damit erklärt, dass Menschen vielleicht doch ein sozialeres Verhalten an den Tag legen, wenn ihnen im TV Hunderttausende zuschauen (inklusive der eigenen Familie). Es gibt aber auch Unterschiede zwischen den Teilnehmergruppen: Alte drücken öfter Freund als Junge, Frauen (ein bisschen) öfter als Männer, Weiße etwas öfter als Schwarze.

Und ein Weiteres kommt hinzu: Die Show wurde in zwei Staffeln gedreht – und die Teilnehmer der zweiten Staffel, die ja die Gelegenheit hatten, die erste zu sehen, haben offensichtlich daraus gelernt – wem zu trauen ist und wem nicht, und wie man da am besten reagiert. Ergebnis: Es gab weniger vom Partner hereingelegte Spieler – aber auch weniger Auszahlungen insgesamt.

Die Fachleute erklären das so: An sich ist die rational dominante Strategie der Feind-Knopf. Wer den drückt, bekommt entweder alles – oder nichts. Wer Freund drückt, bekommt hingegen nur die Hälfte – oder nichts. Der Mensch ist aber nicht so gestrickt, dass er in jedem Fall auf Gewinnmaximierung setzt. Viele empfinden es als unfair, den anderen leer ausgehen zu lassen, mit dem man doch gemeinsam Fragen gelöst hat (und tatsächlich drücken überdurchschnittlich viele Menschen Freund, deren Partner viele Antworten auf die Quizfragen geben konnten). Ein gewisser Menschenschlag hat also das Bedürfnis, Freund zu drücken. Das ändert sich aber, wenn Grund zur Annahme besteht, dass der Partner ein Egoist ist, der nicht teilen möchte. Dann will man das böse Spiel des anderen durchkreuzen: Wenn Du mir nichts gönnst, dann drücke ich auch Feind, und dann bekommt niemand was. Ätsch! Die Spieltheoretiker sagen: Der Gutmütige wehrt sich damit gegen einen Verlust, der noch größer ist als „kein Geld“: „Sucker's dismay“, also die Agonie des Blöden – diesen Preis will niemand zahlen.

Auch die Netten werden daher zu „Feinden“, wenn sie befürchten, hereingelegt zu werden. Zur Verdeutlichung: Nehmen wir an, die Mitspieler teilen sich je zur Hälfte in Altruisten und Egoisten. Wenn keiner den anderen einschätzen kann, müsste das Ergebnis irgendwie so aussehen: In der Hälfte der Fälle sagt der eine Freund und der andere Feind, und in jeweils einem Viertel der Fälle heißt es Feind/Feind beziehungsweise Freund/Freund. Wenn aber die Spieler perfekt erkennen können, ob der andere ein Altruist oder ein Egoist ist, ändert sich das Ergebnis: In 75 Prozent der Fälle wird dann Feind gegen Feind stehen – wenn nämlich Egoisten an einander und an Altruisten geraten. Das restliche Viertel (Altruisten unter sich) wird weiterhin Freund/Freund ausgehen.

Was also tat sich in der zweiten Staffel von „Friend or Foe“? Erwartungsgemäß gab es mehr Feind-Votings und mehr aufeinander abgestimmte Ergebnisse.

Misstrauen macht arm

58 Prozent der Teilnehmer drücken Feind, gegenüber 49 Prozent in der ersten Staffel – in den einzelnen Gruppen ganz unterschiedlich: Frauen scheinen besser zu lernen, denn sie haben nach der ersten Staffel kapiert, dass Männern weniger zu trauen ist als ihren eigenen Geschlechtsgenossinnen. Ihre Feind-Aktionen gegen männliche Partner im Fernsehspiel stiegen von 48 auf 60 Prozent, aber die Feind-Aktionen innerhalb rein weiblicher Teams bleiben bei rund 45 Prozent. Dasselbe, sogar noch ausgeprägter, sieht man bei den Hautfarben und beim Alter.

Aber: Es blieb viel mehr Geld im Studio als bei der ersten Staffel. Denn bei einem Feind/Feind-Ausgang gehen ja beide leer aus. Dort, wo das Misstrauen (beziehungsweise die korrekte Einschätzung des Partners) am stärksten zugenommen hatte – nämlich bei gemischtrassigen Paaren – sank die „Mitnahmequote“ von 56 auf 12 Prozent des theoretisch zur Verfügung stehenden Preisgeldes. Ein interessantes Indiz für die wohlstandsmindernde Wirkung des fehlenden Vertrauens in Menschen anderer Hautfarbe. Gruppen, die schon in der ersten Staffel mehr Altruisten stellten – Ältere, Frauen – konnten inder zweiten Staffel übrigens öfters und mehr Geld nach Hause tragen als die anderen. Das haben die Mitspieler aber nicht überrissen: Denn wenn es am Anfang jeder Show darum ging, sich aus dem Kreis der Mitspieler einen Partner zu suchen, waren ältere Spieler weniger begehrt. Die Experten nennen dafür keine Erklärung. Könnte es nicht sein, dass gerade jene, die bereits mit der Idee spielen, den Partner leer ausgehen zu lassen, lieber niemanden für diese Rolle aussuchen, der älter und reifer ist als sie? Leider ist dieser Ansatz nicht näher untersucht worden.

Sonst noch herausgefunden: Das Verhalten der Spieler ändert sich nicht mit steigender Höhe des möglichen Gewinns. Und wenn man mit dem Wunschpartner spielt, ist man eher bereit zu teilen, als wenn man den Partner zugeteilt bekam (am Beginn der Sendung konnten die – einander fremden – Mitspieler sagen, mit wem sie ein Paar bilden wollen, das wurde aber nicht immer berücksichtigt). Schade jedenfalls, dass die nicht übermäßig populäre Show so bald eingestellt wurde. Wer weiß, was die Spieltheoretiker mit mehr Daten noch alles herausfänden. Schon so haben sie Untersuchungsstoff gewonnen, der im Labor mindestens 350.000 Dollar gekostet hätte. Sie gehören also zu den sicheren Gewinnern von „Friend or Foe“. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2007)

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