Es kostet ja eh (fast) nix

Mit dem digitalen Sammelkartenspiel „Hearthstone“ hat die unselige „Free to Play“-Kultur Blizzard, einen der edelsten Spieleentwickler der Welt, erreicht.

Was in aller Welt ist eigentlich ein „Hearthstone“, ein „Herdstein“? In der Fantasy-Mythologie der „Warcraft“-Welt, verbrämt zwischen Popkultur, klassischem Tolkien-Universum und spieltechnischen Notwendigkeiten, ist das ein Stein, den jede Spielfigur notwendigerweise mit sich herumträgt. Ein Werkzeug, das jeden Avatar in der Online-Mehrspielerlandschaft „World of Warcraft“ zurück zu einer Ruhezone teleportieren kann, zu einem Wirtshaus etwa oder in die sicheren Mauern einer Stadt, wo er Pause von den Abenteuern des erfolgreichsten Online-Rollenspiels machen kann.

„Hearthstone“ist aber auch der Titel des neuesten Spiels aus dem Haus der „Warcraft“-Entwickler, dem kalifornischen Spielekonzern Blizzard. Ein Unternehmen, das seit seiner Gründung 1991 vor allem für große, über mehrere Jahre getestete und bis ins letzte Detail glatt geschliffene PC- und Konsolenspiele stand: Angefangen mit dem legendären (und vor Kurzem zum Gratisdownload zur Verfügung gestellten) „Lost Vikings“ über die Strategieserien „Warcraft und Starcraft“ bis zum Actionrollenspiel „Diablo“ (und jeweils deren Nachfolger inklusive) galt Blizzard als einer der edelsten Unterhaltungssoftware-Produzenten für den PC – vor allem im Vergleich mit anderen Spielekonzernen, die im Monatstakt Massenware auf den Markt werfen, die es an Qualität oft mangeln lassen.

Und jetzt: „Hearthstone“ – kein episches Weltraumstrategiespiel wie „Starcraft“, keine Monsterschlacht wie „Diablo“, sondern ein Kartenspiel. Oder genauer: ein digitales CCG, also ein Collectible Card Game, ein Sammelkartenspiel. Die Gattung des modernen Sammelkartenspiels, modern geworden mit „Magic“: „The Gathering“ von Mitte der 1990er-Jahre haben wir hier erst vor einigen Wochen dargestellt – es gibt sie aber auch in zunehmendem Ausmaß in einer reinen digitalen Version. Wie viele Branchen, deren Produkte bis vor Kurzem ausnahmslos in gedruckter Version erschienen sind (etwa, hüstel, die Zeitungsverlage), steckt auch das Genre der digitalen Kartenspiele noch in den Kinderschuhen. Es ist schließlich nicht einfach, die haptische Erfahrung – eine neue Packung Karten zu öffnen, den Geruch frisch bedruckten Kartons, die Spannung, welche besonders seltenen Karten man diesmal zufällig zugelost bekommen hat – in schnöden Computerbildern zum Ausdruck zu bringen.

„Hearthstone“, vom Hintergrund her an das „Warcraft“-Universum angelehnt, schafft das, indem es die Methoden von banalen Glücksspielautomaten übernimmt: cleveres Sounddesign, bunte, blinkende Bilder, die das Belohnungszentrum im Gehirn ansprechen, und schnelle, kurze (etwa fünf Minuten lange) Spiele, die genau so lange dauern, dass der „Ein kleines Spiel geht sich noch aus“-Impuls einsetzt.

Vom Spielprinzip ist „Hearthstone“ unkompliziert: Für das Grundspiel stellt sich jeder von zwei zufällig gegeneinander gelosten Spielern ein Deck aus genau 30 Karten zusammen – zur Verfügung stehen am Anfang ein großer Pool an Karten, die jedes Deck verwenden kann, sowie – hier kommt ein Rollenspieleffekt dazu – neun kleinere Pools für jede Klasse, von denen eine auszuwählen ist.

Ziel ist es, den Gegner von 30 Lebenspunkten auf null herunterzuringen – die Methoden dafür variieren je nach Klasse und Deck: Der Magier etwa versucht, mit vielen Zaubern wie Feuerbällen und Arkanengeschossen zu arbeiten, der Jäger spielt viele Tiere als Karten, die den Gegner angreifen, der Kleriker hat dagegen viele Möglichkeiten, sich selbst zu heilen.

Zu Beginn jedes Spiels zieht jeder Spieler vier Karten aus seinem Deck, in weiterer Folge zu Beginn jedes Spielzugs eine weitere. Das Ressourcenmanagement, bei anderen Kartenspielen wie „Magic“ ein zentrales Strategieelement, ist elegant-simpel gehalten: Jede Runde erhält jeder Spieler einen Punkt mehr, den er ausgeben kann, um Diener zu spielen oder Zauber zu sprechen. Im ersten Zug kann jeder Spieler einen Punkt ausgeben, im zweiten zwei und so weiter, bis im zehnten Spielzug das Maximum bei zehn Punkten erreicht ist.

Der klare Fokus des Spiels liegt auf den Kreaturen, die gegeneinander antreten – also ihren Schaden entweder einander oder dem gegnerischen Spieler zufügen. Das Ganze ist taktisch nicht besonders tiefsinnig, aber durchaus unterhaltsam: Ein harmloses Spiel für zwischendurch, das vor allem der unterschiedlichen Spielweisen der einzelnen Klassen wegen auch über mehrere Partien hinweg unterhaltsam bleibt.

Zahlen, dann wird es interessanter

Wie bei Blizzard üblich, glänzt auch „Hearthstone“ mit fein geschliffener Balance: So bekommt jener Spieler, der den (digitalen) Münzwurf um den ersten Zug verliert, einmalig einen Punkt mehr, den er zu einem beliebigen Zeitpunkt ausgeben kann, auch die Fähigkeiten der einzelnen Klassen sind untereinander gut ausgewogen. Und – das mag der größte Bonus von digitalen Sammelkartenspielen sein – sollte sich eine bestimmte Karte einmal als zu mächtig für die Spielumgebung erweisen, kann Blizzard sie dank des digitalen Zugriffs auf alle Kartensammlungen einfach und schnell ändern – was diese Woche zum ersten Mal geschehen ist, als die Entwickler die Kosten einer mächtigen Karte anpassten.

Der größte Wermutstropfen ist aber das Geschäftsmodell von „Hearthstone“: Zum ersten Mal setzt Blizzard nicht mehr auf ein Vollpreismodell, sondern auf „Microtransactions“, also auf das regelmäßige Zahlen kleiner Beträge. Das Spiel selbst gibt es (derzeit für PC und iPad) gratis – und auch die Spielwährung (Gold) kann man mit Siegen gegen andere Spieler „erarbeiten“. Von dem Gold kann man dann zwei erstrebenswerte Güter kaufen: neue Karten, zufällig ausgewählt, die in die eigene Sammlung aufgenommen werden – und den Zugang zur Arena, dem derzeit interessantesten Spielmodus, bei dem man mit zufällig ausgelosten Karten ein temporäres Deck baut.

Beides gibt es aber auch, ohne dafür investieren zu müssen: per Kreditkarte. Ein Arenazugang für mindestens drei Spiele kostet 1,79 Euro, eine virtuelles Kartenpackerl 1,35 Euro. Dass interessantere Spielerlebnisse, für die diese beiden Güter stehen, hinter immer wiederkehrenden Umsätzen (oder einem massiven Zeitinvestment) versteckt werden, tut der Spielfreude an „Hearthstone“ dann doch ziemlich schnell Abbruch. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.