Sein und Zeit und Geld

Seit elf Jahren hält die Weltraumwirtschaftssimulation „Eve Online“ Hunderttausende Spieler in ihrem Bann. Von einem faszinierenden Experiment in einem Käfig voller Narren.

So we waited in anticipation.“ Maximum camp mode? „Maximum camp mode, twenty-four seven or twenty three seven as we say in EVE parlance [the server has a short downtime every day] and so we waited and we waited, knowing he could move at any moment. Our crew covers all time zones, some are Australian, some are European, some in the US, so we could basically follow the sun. But we had deduced the guy was Russian so we figured it was most likely to happen in early evening European time zone hours.“

Es ist eine fesselnde Erzählung, die Richard Stanton diese Woche auf der PC-Spielewebsite rockpapershotgun.com veröffentlicht hat: die Geschichte einer Gruppe von Spielern unter dem Nom de Guerre „Pandemic Legion“, die sich eineinhalb Jahre lang in dem Weltraum-Mehrspielerspiel „Eve Online“ auf die Lauer gelegt hat, um einen bestimmten Spieler abzufangen, sobald er sich wieder einloggt.

„Eve Online“ ist eines dieser Spiele, die man als Außenstehender kaum nachvollziehen kann. Es ist ein PC-Massive Multiplayer Online Roleplaying Game, kurz MMORPG. Bei solchen Spielen interagieren zehntausende Spieler gleichzeitig in einem fiktiven Universum, kämpfen oder handeln miteinander und schaffen so ein spielerisches Digitaluniversum – so das Ideal.

Von allen Mehrspielerspielen da draußen kommt „Eve“ dieser Vision noch am nächsten: Während praktisch alle andere MMORPGs ihre Gesamtpopulation – beim Branchenprimus „World of Warcraft“ zu seiner Hochzeit mehr als zwölf Millionen Spieler – auf kleine Server zu je einigen tausend Spielern verteilen, bietet „Eve“ ein durchgehendes Universum, in dem theoretisch alle 500.000 registrierten Spieler gleichzeitig online sein könnten. „Universum“ ist in dem Fall das richtige Wort, denn „Eve“ ist im Kern eine Raumschiffsimulation, bei der die Spieler kleine Raumjäger oder gigantische Kreuzer durch das Weltall dirigieren. Letzteres ist übrigens ziemlich groß: 5000 Sternensysteme, gefüllt mit Raumbasen, Himmelskörpern und viel, viel Platz.

Das Besondere an dem Werk, für das derisländische Softwarehersteller CCP mindestens elf Euro verlangt, ist sein Sandbox-Aufbau: Im Gegensatz zu anderen Spielen, die sehr viel Handlung vorgeben, entscheiden „Eves“ Spieler selbst, was sie machen wollen. Ob sie zum bezahlten Kopfgeldjäger werden, Mineralien aus Asteroiden schürfen oder an den Börsen spekulieren – besonders das Wirtschaftsleben in „Eve Online“ ist der Spiel gewordene Traum jedes Volkswirten: Da finden sich Allianzen von Spielern, die einzelne Märkte manipulieren und so Millionen der Spielwährung ISK verdienen; verheißungsvolle Unternehmungen stellen sich als elaborierte Pyramidenspiele heraus, das fleißige Schürfer um ihr Geld bringt.

Geld, mit dem man sich stattdessen die wichtigsten Statussymbole des „Eve“-Universums leisten könnte: die Schiffe. Millionen von ISKs werden dafür verbraucht, sich die teuersten Vehikel des Spiels zu leisten und sie mit den besten Modulen überhaupt zu füllen. Das kann auf der kriegerischen Seite des Spiels Vorteile haben: In die Schlachten, in denen das „Eve“-Universum regelmäßig aufgeht, sind manchmal Tausende spielergesteuerte Schiffe auf jeder Seite involviert – eine gewaltige Wertvernichtung, die das Spiel aber dynamisch hält.

„Eve“ steht mit seinem komplexen Wirtschaftssystem exemplarisch für die Welt der MMORPGs, bei denen das Spielprinzip im Wesentlichen leistungsorientiert ist: Wer möglichst viel Zeit investiert, um Geld zu verdienen und Kontakte zu pflegen, fällt schnell hinter Mitspieler zurück. An diesem Prinzip ändert auch nichts, dass Spielgeld indirekt um echtes Geld gekauft werden kann: Spieler können in der Realität Abo-Prepaid-Karten kaufen und diese Guthaben dann auf dem freien Markt im Spiel gegen ISK veräußern.

Von außen ist „Eve“ ein einziger Generator großer, skurriler Geschichten: von dem Pyramidenspiel, das tausende Spieler um ihre Ersparnisse gebracht hat. Von der gewaltigen Schlacht zweier Spielerallianzen, ausgelöst durch einen eher unbedeutenden Grenzkonflikt. Oder eben das eingangs erwähnte Szenario: die Geschichte der Pandemic Legion, die es sich zum Ziel gemacht hat, Titanen, die größte und teuerste Schiffsklasse, zu jagen und zu zerstören.

Das treibt sie so weit, dass sie mehrere Monate, 24 Stunden täglich, darauf gewartet haben, dass ein Spieler, der sich vor langer Zeit mit seinem Titanen ausgeloggt hat, sich wieder in das Universum einklinkt – um ihn binnen weniger Minuten zu jagen und seinen Titanen, das Produkt jahrelanger „Arbeit“ in „Eve“, kurz und klein zu schießen.

Bindung an das Spiel ist legendär

Eine Ahndung solcher Spielweisen, die dem Opfer garantiert keine Freude bereitet haben, ist in „Eve“ nicht vorgesehen. CCP überlässt die Sandbox im Wesentlichen den Spielern selbst – die auch eigene Allianzen bilden, um sich gegenüber skrupelloseren Zeitgenossen abzusichern. Durch diese soziale Komponente ist die Bindung der „Eve“-Spieler an ihr Spiel legendär.

Das geht so weit, dass CCP eine Art Spielerbeirat eingerichtet hat: neun Spieler, nominiert von ihrer Community, die regelmäßig nach Reykjavík eingeflogen werden, um mit den Entwicklern zu diskutieren, welche Richtung die Weiterentwicklung von „Eve“ nehmen soll. Darüber hinaus veranstaltet der Hersteller jährlich das „Eve“-Fanfest in der isländischen Hauptstadt, um dort mehrere hundert Spieler aus aller Welt willkommen zu heißen: Soeben ist das Fanfest mit über 2000 Spielern zu Ende gegangen; in dessen Rahmen hat Reykjavíks Bürgermeister Jon Gnárr eine Statue den Spielern zu Ehren enthüllt, die jährlich in Summe hunderte Millionen nach Island überweisen.

„Eve“, in Betrieb genommen 2003, ist mit seinem elfjährigen Bestehen ein Phänomen in einer Branche, die immer mehr auf kurzlebige Blockbuster als auf einprägsame, langfristige Unterhaltung zu setzen scheint. Selbst wenn man als Durchschnittsmensch Sätze wie diesen aus Stantons Bericht nicht unbedingt versteht:

„This is an example of the strategising some groups go to in order to get these big kills.“ „To us it's a challenge“, says Quickload. „It's a mindgame. It's part of the greater game itself. It's not the greatest ,EVE‘ story, it's just an example of what can happen.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2014)

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